Kölner Anzeiger 26.3.99

Politiker in Erklärungsnot
„Warum greift Nato nicht die Türkei an?“
Die neuen Ost-Mitglieder tun sich schwer

Von Klaus Bachmann
Warschau - In den Warschauer Radiostationen stehen am Donnerstag morgen die Telefone nicht mehr still. Ein Pole mit stark serbisch gefärbtem Akzent fragt, warum die Nato nicht auch die Türkei bombardiere, um Autonomie für die Kurden durchzusetzen.  Ein Anrufer erklärt, die Nato-Aktion im Kosovo zeige, „daß die Nato kein Verteidigungsbündnis mehr ist und mit der UN und der OSZE kein Staat mehr zu machen ist.“ Außenminister Bronislaw Geremek verteidigt die Aktion: Völkerrecht sei gebrochen worden, als in Bosnien 200 000 und im Kosovo 2000 Menschen umgebracht worden seien. Die Intervention sei Rechtens und nur dazu da, Milosevic an den Verhandlungstisch zu zwingen.
Militärisch wird sich wohl keines der neuen mittelosteuropäischen Nato-Mitglieder Polen, Ungarn und Tschechien an der Intervention beteiligen. Budapest vermeidet das aus politischen Gründen mit Rücksicht auf den Nachbar Serbien und die dort lebende ungarische Minderheit. Warschau könnte für eine Intervention nur einige wenige Nato-kompatible Kampfflugzeuge bereitstellen - genau wie Tschechien. Polens Präsident Aleksander Kwasniewski hat bereits darauf hingewiesen, daß Einheiten des Landes nur für die Überwachung des Abkommens von Rambouillet vorgesehen waren - und das kam ja nicht zustande.
Die größten politischen Probleme mit dem Nato-Schlag hat die Ukraine, die sich in den letzten Wochen stets für eine friedliche Lösung und gegen eine von der UN nicht gedeckte Nato-Intervention ausgesprochen hat. Im Kiewer Außenministerium und im Präsidentenpalast herrschte gestern Schweigen. Das Parlament verabschiedete dagegen eine Resolution, in der der „atomwaffenfreie Status der Ukraine im Zusammenhang mit der Nato-Aggression aufgehoben wird“ - eine Erklärung, die allerdings keine direkten Folgen hat, da die Ukraine ihre Atomwaffen bereits 1994 auf starken westlichen Druck hin an Rußland abgegeben, bzw. vernichtet hat. Mit Sicherheit hat der Nato-Angriff auf Jugoslawien aber den Kiewer pro-russischen und anti-westliche Kräften Auftrieb gegeben, umso mehr, als die nationale und prowestliche Ruch-Partei in mehrere verfeindete Flügel zerstritten ist. Für den weißrussischen Präsidenten Aleksander Lukaschenko kommt die Kosovo-Krise dagegen gerade recht.
Waffen fürs Brudervolk?
Einer seiner hohen Berater wurde bereits mit den Worten zitiert, sein Land schließe eine Rückkehr der an Rußland abgegebenen Atomwaffen nicht aus. Lukaschenko hat bereits Waffenlieferungen an das serbische „Brudervolk“ angekündigt.
Lukaschenkos legale Amtszeit läuft in diesem Sommer aus, er hat sie sich aber mit Hilfe eines verfassungswidrigen Referendums auf zwei weitere Jahre verlängert. Für ihn bietet die außenpolitische Polarisierung zum einen die Möglichkeit, innenpolitische und wirtschaftspolitische Probleme zu überspielen, zum anderen aber auch die Chance, sich mit noch radikalerer antiwestlicher Rhetorik Sympathien im prorussischen Teil der Bevölkerung und in der kommunistischen und nationalistischen Öffentlichkeit in Rußland zu sichern.
Damit haben die Nato-Attacken auf Serbien nicht nur die Lage der pro-westlichen Bevölkerungsteile und Politiker in der Ukraine und Weißrußland erschwert, sondern auch die Ostpolitik Polens und Ungarns. Ihre uneingeschränkte Unterstützung für die Angriffe auf Jugoslawien haben dagegen die drei pro-westlichen, in die Nato drängenden baltischen Staaten Lettland, Litauen und Estland erklärt.