ap Meldung vom 23.03.1999 14:06

Bei Ausländern in Mecklenburg-Vorpommern wächst die Angst
Ein Libanese nach brutalem Überfall im Koma - In zwei Tagen drei Gewalttaten Von AP-Korrespondent Lutz Jordan

Schwerin (AP) In Mecklenburg-Vorpommern wächst unter der ausländischen Bevölkerung die Angst vor gewaltsamen Übergriffen. Binnen zwei Tagen wurden jetzt drei Ausländer brutal von einer Übermacht junger Täter zusammengeschlagen und mißhandelt. Am schwersten traf es in Neubrandeburg einen 21jähriger Libanesen, den vier Angreifer vor den Augen seiner Freundin nicht nur mit Faustschlägen und Tritten traktierten, sondern auch lebensbedrohlich am Kopf verletzten. Nach sofortiger Notoperation lag er am Dienstag noch im Koma. In Greifswald mußten sich ein Algerier und ein Inder nach Überfällen in ärztliche Behandlung begeben.
Den tätlichen Angriffen in Greifswald und Neubrandenburg, in deren Folge bis Dienstag lediglich ein Tatverdächtiger ermittelt wurde, gingen rechtsextreme Pöbeleien voraus. So hieß es in einem Fall, «was willst Du Türke hier?». Zum anderen fielen Äußerungen wie «Scheiß-Ausländer» oder «Ausländer raus». Polizei und Staatsanwaltschaft üben sich in der Bewertung der Fälle allerdings in äußerster Zurückhaltung und räumen lediglich die «Möglichkeit ausländerfeindlicher Motive» ein. Schwerins Ausländerbeauftragte Anette Köppinger hingegen spricht von zunehmender Angst unter den Ausländern im Lande. Diese trauten sich alleine kaum noch in die Öffentlichkeit, nachts schon gar nicht.
Einen Großteil Schuld an dem offenbar wieder stärker aufflammenden Ausländerhaß gibt Köppinger der noch immer laufenden CDU-Umfrage zur doppelten Staatsbürgerschaft. «Diese Aktion hat die ausländerfeindlichen Kräfte ermutigt», ist ihre Überzeugung. Die Mehrheit der Bevölkerung habe die Umfrage als Entscheidungsmöglichkeit gegen Ausländer begriffen. Hinzu kämen die Vorgänge um den Kurdenführer Abdullah Öcalan. An den Schulen des Landes sei festzustellen, daß die Nationalitätenbezeichnung «Türke» zu einem üblen Schimpfwort mutiert sei.
Sozialer Frust und unverantwortliche Meinungsmacher
Köppinger vermutet, daß die weit verbreitete Ablehnung von Ausländern in einem Land wie Mecklenburg-Vorpommern unmittelbar damit zusammenhängt, daß diese hier nur einen Bevölkerungsanteil von unter einem Prozent ausmachen. Man kennt die Ausländer weniger als normale Nachbarn, die ihrer Arbeit nachgehen, sondern sieht in ihnen mehr die auf Kosten der Steuerzahler lebenden Asylbewerber, die möglicherweise einmal Konkurrenten auf dem überstrapazierten Arbeitsmarkt werden könnten. Der Frust über die eigene unbefriedigende soziale Lage schlage dann mit dem Zutun unverantwortlicher Meinungsmacher schnell in Haß gegen die angeblich schuldigen Ausländer um, erläutert die Ausländerbeauftragte.
Die Angst unter den Ausländern ist allgegenwärtig, erklärt Koffi Yovogan aus Togo, der in Schwerin in Hilfsgremien für Ausländer mitwirkt. Besonders schlimm sei, daß «die deutsche Bevölkerung häufig wegschaut, wenn Ausländer angegriffen, ausgegrenzt und diskriminiert werden». Es falle den Bürgern offenbar schwer, Zivilcourage, Toleranz und Akzeptanz zu zeigen. Das Schweriner Innenministerium verweist seinerseits auf die Landesstatistik, wonach Straftaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund im Vorjahr auf 86 zurückgingen und sich damit im Vergleich zu 1997 fast halbierten. Auch der Neubrandenburger Oberstaatsanwalt Horst Müller-Praefcke warnt davor, hinter jeder Gewalttat einen ausländerfeindlichen Hintergrund zu vermuten.