Main Echo 24.3.99

Öcalan und Arafat: Zulässiger Vergleich?
Eigener Gesamtstaat nicht aktuell ­ Kurdistan-Diskussion bei der Aschaffenburger FDP

Mit der Geschichte Kurdistans und den »Perspektiven eines unbekannten Volks« befaßte sich die Aschaffenburger FDP in einer Mitgliederversammlung. Gesprächspartner der Liberalen waren drei am Untermain lebende Kurden.
Im neuen türkischen Staat dieses Jahrhunderts dominiert die Ideologie eines türkischen Einheitsvolkes. Ethnische Minderheiten verlieren das Recht auf den freien Gebrauch ihrer Sprache, Ortsnamen werden geändert, Menschen umgesiedelt. Es kommt zu blutigen Aufständen, schließlich 1984 zum ständigen Guerillakrieg zwischen kurdischen Freischärlern und dem türkischen Militär. Die Führung des Aufstands übernimmt die Partiya Karkeren Kurdistan (PKK) unter ihrem Führer Abdullah Öcalan.
»Sind die Interessen Öcalans mit denen des Kurdischen Volkes identisch?«, war die zentrale Frage in der Aschaffenburger Diskussion. Dazu meinten die Kurden (zwei von ihnen sind deutsche Staatsbürger), daß die Mehrheit aller Kurden dies wohl mit ja beantworten würde. Öcalan verkörpere zumindest bei den etwa zwölf Millionen Kurden in der Türkei »erstmalig die große Hoffnung auf ein Leben in Freiheit«.
Dennoch sei Öcalan nicht der einzige politische Führer. In Brüssel gebe es das Kurdische Exilparlament, in dem zahlreiche ethnische und religiöse Organisationen vertreten seien, darunter auch Frauengruppen. Alle, auch die PKK, stünden zu Demokratie und Menschenrechten.
Mehrfach wurden von Diskussionsteilnehmern Zweifel an der von der PKK angewendeten Gewalt und der autoritären Führung der Partei vorgetragen. Die kurdischen Gäste distanzierten sich persönlich von Gewalt und Terror, gaben aber zu bedenken, daß es schwer sei, die Emotionen unterdrückter Menschen bei Anlässen wie dem Kidnapping Öcalans zu kontrollieren. Die in Deutschland lebenden Kurden hätten noch schnell zur Besonnenheit zurückgefunden. Öcalan sollte man an seinen letzten Äußerungen messen: In der Sieben-Punkte-Erklärung bei seinem Eintreffen in Italien im November 1998 bekenne er sich zu Frieden und Demokratie, zum politischen Dialog und zu Pluralismus. Vielleicht sei ein Vergleich mit Palästinenserführer Arafat zulässig, der heute gegen Gewalt eintrete und ungeachtet seiner früheren Untergrundtätigkeit mit allen Ehrbezeugungen von den Regierenden in der Welt empfangen werde.
Früher geäußerte Forderungen nach dem eigenen kurdischen Gesamtstaat seien nicht aktuell. Wie in der Sieben-Punkte-Erklärung formuliert, strebe man jetzt die Autonomie für die kurdischen Gebiete unter Wahrung der Grenzen der Türkei an ­ unter Gewährung aller demokratischen Rechte und Anerkennung der kurdischen Identität, Sprache und Kultur. Noch bescheidener war einer der Gäste: Für ihn sei die Einstellung der militärischen Aktionen und die Rückkehr der Vertriebenen in ihre Dörfer vordringlich, damit das unmittelbare große Leid der Menschen gelindert werde.