junge Welt 24.03.1999

Zweite Newroz-Delegation wieder frei
Augenzeugenbericht belegt erneut Einsatz von BRD-Waffen gegen Kurden

Nachdem am Montag früh bereits die sechsköpfige thüringische Delegation zum kurdischen Newroz-Fest aus türkischem Polizeigewahrsam entlassen worden war (jW berichtete), befinden sich jetzt auch die neun Menschenrechtler aus Schleswig-Holstein wieder auf freiem Fuß. Sie wurden nach zwei Tagen Polizeihaft in der Nacht vom Montag zum Dienstag nach Deutschland ausgewiesen. Zu der neunköpfigen Delegation gehörten auch die PDS- Bundestagsabgeordneten Heidi Lippmann und Carsten Hübner, die am Dienstag in Bonn gemeinsam mit der ebenfalls während der Newroz-Feiern in der Türkei inhaftierten Dolmetscherin Gülten Sahin und einer Mitarbeiterin des Newroz-Delegationsbüros auf einer Pressekonferenz über ihre Reise berichteten. Lippmann berichtete von zahlreichen Übergriffen und Razzien in Istanbul auf friedliche Demonstranten sowie auf Organisationen, die für kurdische Belange eintreten, so unter anderem auch bei der HADEP-Partei. Aus Gesprächen mit dem türkischen Menschenrechtsverein IHD hätte man erfahren, daß es seit der Verhaftung von PKK-Chef Abdullah Öcalan bis zum 20. März bereits mehr als zehntausend Verhaftungen gegeben habe. Allein am Newroz-Wochenende hätte es wiederum mehrere tausend Festnahmen gegeben. Am 12.März sei es im Istanbuler Ortsteil Gazi zu regelrechten Straßenschlachten gekommen, bei denen viele Menschen erschossen, von Panzern überfahren oder zu Tode geprügelt worden seien. Nach den Auseinandersetzungen am vergangenen Sonntag seien ebenfalls zahlreiche Menschen durch Schußwaffen- und Knüppeleinsatz von seiten der Polizei verletzt worden. Die prokurdisch und demokratisch orientierte HADEP-Partei ist, so Heidi Lippmann, mehr denn je massiven Repressionen ausgesetzt. Generell werden prokurdische Organisationen und Parteien in der türkischen Öffentlichkeit als aus dem Ausland ferngesteuert diffamiert, womit offenbar der Eindruck erweckt werden solle, daß es im Lande keine Opposition gegen die Unterdrückung der Kurden gibt. Ebenfalls aus Anlaß von Newroz hatte Alexander Kauz, Vorstandsmitglied des Rüstungs-Informationsbüros Baden- Württemberg (RIB), versucht, nach Diyarbakir einzureisen, wobei er verhaftet und stundenlangen Verhören ausgesetzt worden war. Bei seinen Verhören im Militärposten und auf der Gendarmeriestation in Ergani, 70 Kilometer vor Diyarbakir, seien ihm die vergangenes Jahr aus Wörth (Pfalz) gelieferten neuen Unimog-Fahrzeuge ebenso wie achträdrige Radpanzer vom Typ BTR-60 aus ehemaligen NVA- Beständen ins Auge gefallen. Diese Aussage deckt sich mit zahlreichen bereits vorhandenen Belegen zum Einsatz von aus der Bundesrepublik gelieferten Waffen in den kurdischen Gebieten. Vor dem Hintergrund der jüngsten Berichte aus Kurdistan fordert das RIB gemeinsam mit anderen Friedensorganisationen von der Bundesregierung, einen sofortigen Abschiebestopp in die Türkei zu verfügen, Druck auf die Türkei auszuüben, einer politischen Lösung des Kurdistan-Konflikts endlich den Weg zu ebnen und ein Waffenembargo gegen die Türkei zu verhängen. Bislang hat die rot-grüne Bundesregierung den Kurs ihrer Vorgängerin gegenüber der Türkei allerdings nahtlos fortgesetzt: Erst kürzlich genehmigte sie die Lieferung von U-Booten in die Türkei.
Jana Frielinghaus