Neue Zürcher Zeitung 20.03.1999

Öcalan fordert seine Anhänger zur Mässigung auf
Verbot von öffentlichen Newroz-Feiern

it. Istanbul, 19. März

Der inhaftierte Kurdenführer Abdullah Öcalan hat sich zum erstenmal seit seiner Festnahme mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit gewandt. Darin fordert er eine politische Lösung der Kurdenfrage und spricht von einem Kampf für Frieden und Demokratie in der Türkei. Dem Land biete sich eine historische Gelegenheit, auf seinem Territorium die Kurdenfrage friedlich zu lösen, steht in der von Öcalans Anwälten der Presse übergebenen Erklärung. Öcalan richtet sich in dem Aufruf auch an seine Anhänger. Die PKK habe 1993 einen einseitigen Waffenstillstand ausgerufen und diesen im September 1998 bekräftigt, schrieb er. Dieses Angebot eines demokratischen, friedlichen und politischen Kompromisses sei für ihn nach wie vor verbindlich. Die lange Erklärung widerspiegelt das Gehabe einer Person, die sich nach wie vor als unumstrittener Führer versteht. Öcalan gab weiter die Anweisung, dass die Parlamentswahlen am 18. April in einer ruhigen Atmosphäre stattfinden müssten, und bezeichnete Aktionen, die zu einem Konflikt zwischen Kurden und Türken führten, als bedauerlich.
Die Erklärung des Kurdenführers wurde von der türkischen Presse kaum beachtet. Sie traf zu einem Zeitpunkt ein, da die türkische Öffentlichkeit wegen der Bombenattentate der letzten Tage verunsichert ist. Hinzu kommt, dass am Sonntag das kurdische Nationalfest Newroz stattfindet. Dieser Anlass, für manche Kurden ein Symbol ihres Widerstandswillens, hat in den vergangenen Jahren in Südostanatolien oft zu Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Sicherheitskräften geführt. In Ankara wird nun befürchtet, dass im gegenwärtigen Klima der hochgehenden Emotionen die Feierlichkeiten Gewalteskalationen auslösen könnten. Aus Angst vor Ausschreitungen wurden daher alle Feiern in der Öffentlichkeit untersagt. Die Kurden dürfen dieses Jahr weder im türkischen Südosten noch im Westen des Landes ihre zur Tradition gewordenen Feuer entfachen. In westlichen Grossstädten wurden zudem scharfe Sicherheitsmassnahmen getroffen, um illegale Proteste und Demonstrationen zu verhindern.