junge Welt 20.03.1999

Hamburgs Innensenator hart gegen Flüchtlinge
SPD-Koalitionspartnerin GAL unterstützt Kampagne für Abschiebestopp

Die Hamburger Initiative »Zeit für Frieden in Kurdistan« fordert den SPD-Oberbürgermeister der Hansestadt, Ortwin Runde, dessen Stellvertreterin aus der GAL-Fraktion, Krista Sager, und die Präsidentin der Hamburger Bürgerschaft, Ute Pape, SPD, in einem offenen Brief auf, einen landesweiten Abschiebestopp in die Türkei zu erlassen sowie sich im Bundesrat für eine entsprechende bundesweite Regelung einzusetzen. »Abgeschobene Kurden und türkische Oppositionelle können nicht versuchen, unauffällig in den Metropolen der West-Türkei unterzutauchen«, heißt es in dem Brief.
»Sie durchlaufen automatisch die polizeilichen Grenzkontrollen. Hier sind sie aufgrund ihrer Papiere als abgelehnte Asylbewerber identifizierbar. Beschimpfungen, Verhaftungen und Folter durch die Grenzbehörden sind häufig die Folge.« Bei der Begründung für die Forderung nach Abschiebestopp bezieht sich die Initiative auf eine Veröffentlichung der ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Amke Dietert-Scheuer. Diese hatte Fälle von in der BRD abgeschobenen Kurden dokumentiert, die nach ihrer Einreise in die Türkei länger als 24 Stunden in Polizeihaft verbrachten, dort gefoltert wurden oder »verschwanden«. In allen der mehr als dreißig geschilderten Fälle im Zeitraum von 1994 bis 1998 seien die Angaben der Gefolterten von Anwälten oder dem türkischen Menschenrechtsverein IHD bestätigt worden, so Frau Dietert- Scheuer in ihrem Vorwort der Dokumentation. Auffällig sei, so die frühere Bundestagsabgeordnete weiter, daß die Zahl der bekannt gewordenen Fälle von Mißhandlungen nach Abschiebungen in die Türkei im Jahre 1998 weiter gestiegen sei.
Die Kampagne »Abschiebestopp« wird begleitet von einer Unterschriftensammlung, die Anfang April dem Oberbürgermeister übergeben werden soll. Für den 1. April ist eine Demonstration von der Ausländerbehörde zur Innenbehörde geplant.
Auch die Hamburger Grünen, die GAL, unterstützen die Forderung. »Kurden in die Türkei auszufliegen wäre aus meiner Sicht Beihilfe zu Folter«, erklärte die migrationspolitische Sprecherin der GAL- Bürgerschaftsfraktion Susanne Uhl gegenüber jW.
Das sieht Koalitionspartnerin SPD und vor allem der sozialdemokratische Innensenator, Hartmut Wrocklage, allerdings ganz anders. »Abschiebestopp? Ohne mich«, so titelte die »Hamburger Morgenpost« (MoPo) ein Interview mit dem Innensenator. Statt auf Abschiebestopp setze er auf Einzelfallprüfung, so der Sozialdemokrat. Jede Gefahr von Folter und Todesstrafe müsse dabei vermieden werden. Dafür gebe es Absprachen zwischen dem deutschen und dem türkischen Innenminister. Auf die Frage des MoPo- Redakteurs Günter Beling, ob diese Erklärungen des türkischen Regimes nicht wertlos seien, antwortete Wrocklage: »Wir haben die Erfahrungen gemacht, daß sich die türkische Republik an Absprachen hält.« Blanker Zynismus angesichts der vielen dokumentierten Fälle von Folter und Verfolgung abgeschobener Kurden und türkischer Oppositioneller gerade in der jüngsten Zeit (jW berichtete).
Der türkische Staat habe dabei seine Taktik geändert, erläutert dazu ein Teilnehmer einer jüngst aus der Türkei zurückgekehrten Menschenrechtsdelegation. Während früher im europäischen Ausland abgewiesene Asylbewerber häufig schon an der Grenze verhaftet wurden, gingen die Grenzbeamten jetzt dazu über, ihnen Dokumente auszustellen, mit denen sie sich in ihren kurdischen Heimatorten melden sollten. Und dann, Hunderte Kilometer von Istanbul und Ankara entfernt, würden sie verhaftet und niemand könne kontrollieren, was anschließend aus ihnen würde. Trotzdem schieben die deutschen Behörden weiter ab. Erst am Donnerstag wurden in Hamburg fünf abgelehnte kurdische Asylbewerber abgeschoben. Laut Christoph Holstein, Pressesprecher der Innenbehörde, »ganz normale Kriminelle«, nur in einem Fall handele es sich um einen abgelehnten Asylbewerber. »Nicht einer, sondern alle fünf waren abgelehnte Asylbewerber«, so die GAL-Abgeordnete Uhl. »Ich habe Mittwoch abend von der bevorstehenden Abschiebung erfahren. Noch in der Nacht habe ich für alle fünf eine Eingabe an den Petitionsausschuß geschrieben, um das zu verhindern. Doch leider hat der Ausschuß diese Eingabe nicht akzeptiert.« Ein Sprecher der Initiative »Zeit für Frieden« wertete diese Abschiebungen gegenüber junge Welt als »absolute Machtdemonstration. Fast so, als wollte Senator Wrocklage uns zeigen, wer die Macht hat in Hamburg. Eben: Abschiebestopp, mit mir nicht.«

Birgit Gärtner, Hamburg