Giessener Anzeiger, 18. März 1999

Gießener PKK-Chef soll Anschläge befohlen haben
Gebietsleiter durch glücklichen Zufall verhaftet - Polizei ist für die nächsten Tage auf „die schlimmsten Szenarien eingerichtet“

Von Andreas Emmerich
GIESSEN. „Zufall“ hat nach Angaben der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe bewirkt, daß der ehemalige Gießener Gebietsleiter Mehmet K. der terroristischen Kurdischen Arbeiterpartei PKK am Montag an der dänischen Grenze bei der Einreise in die Bundesrepublik festgenommen werden konnte. Mehmet K. wurde, wie berichtet, am Dienstag verhaftet. Erst eine Woche alt war der Haftbefehl, der sich auf Straftaten im Raum Gießen aus dem Jahr 1996 bezog.
Eine Sprecherin: „Die Ermittlungen haben halt so lange gedauert.“ Sie bestätigte, daß ohne die Zugriffsmöglichkeit bei der Paßkontrolle wohl mehr Zeit ins Land gegangen wäre, bis man des 28jährigen hätte habhaft werden können. Ihm wird zur Last gelegt,drei Brandanschläge befohlen zu haben. Neben friedlichen Demonstrationen hätten Taten wie diese ab Juli 1996 die Solidarität der PKK mit Hungerstreikenden in türkischen Gefängnissen unterstreichen sollen. Der heute PKK-intern nicht mehr für Gießen zuständige Mehmet K. soll zum 28 Juli den Anschlag auf eine Transportfirma in Reiskirchen angeordnet haben. Bei der Durchführung seien Molotow-Cocktails ins Innere der Firmenräume geworfen worden. Es sei bei einem Schaden von 50000 Mark geblieben, weil das Inbrandsetzen der Räume nicht gelang. Neben jenem zu einem Anschlag auf ein türkisches Reisebüro in Siegen hat Mehmet K. den Beschuldigungen nach außerdem den Befehl zu einem Brandanschlag auf ein türkisches Reisebüro in Lollar gegeben. Dessen Vollzug sei daran gescheitert, daß die von Mehmet K. eingesetzte Tätergruppe in Tatortnähe von der Polizei festgenommen wurde. Nach den Erkenntnissen des Generalbundesanwalts hat Mehmet K. die Anschläge angeordnet, nachdem er von seinem Regionalverantwortlichen Halit Y. zu solchen Aktivitäten angewiesen wurde. Auf der PKK-Landkarte ist Deutschland nach Angaben der der Generalbundesanwaltschaft in sieben bis zehn Regionen eingeteilt. Jede dieser Regionen sei in fünf Gebiete aufgegliedert. Unter diesen Gebieten sei Gießen eines.
„Dazu möchte ich nichts sagen“, antwortete der Gießener Polizeipressesprecher Sigbert Steffens auf die Anzeiger-Frage, ob es in der Nachfolge des Mehmet K. auch heute noch einen Gießener PKK-Gebietsleiter gebe. Er äußerte aber, die Taten die Mehmet K. zur Last gelegt werden, zeigten, daß es in Gießen „schon immer Aktivisten gegeben hat“. Dem aktuellen Lagebild der Polizei nach sind die jüngeren von ihnen „leicht bis stark außer Kontrolle“. PKK-Aktivitäten könnten in Gießen „sehr offensiv“ ausfallen. Steffens berichtete, daß die Polizei für die kommenden Tage „auf die schlimmsten Szenarien eingerichtet ist“. Einerseits stehe, das kurdische Neujahrsfest („Newroz“) an, bei dem es in früheren Jahren in Gießen zu Ausschreitungen gekommen ist. Andererseits sei in der Türkei der Prozeßbeginn für den verhafteten PKK-Führer Öcalan auf den 24. März festgesetzt worden. Die PKK verbreite gerade, daß er gefoltert wird. Der Anschlag von Istanbul zeige, welche Qualität PKK-Terror haben kann: Bewußt und „menschenverachtend“ seien Leute in dem Gebäude erst in die oberen Stockwerke getrieben worden, um es dann mit Brandbeschleunigern großflächig in Flammen zu setzen.