junge Welt 18.03.1999

Offener Terror in der Türkei
BRD-Delegation bestätigt Mißhandlungen abgeschobener Kurden

Mitglieder einer deutschen Menschenrechtsdelegation haben am Mittwoch bestätigt, daß in weiten Teilen der Türkei seit der Festnahme des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan ein »Klima massiven Terrors« herrscht. Tausende Kurden und Oppositionelle seien in den vergangenen Wochen festgenommen und ins Gefängnis geworfen worden, berichtete die Gruppe vor Journalisten in Göttingen. Die Delegation war Anfang März in die Türkei gereist, um Gespräche mit Menschenrechtsorganisationen und Anwälten zu führen sowie Kundgebungen und Prozesse zu beobachten.
In den Konfliktgebieten im Südosten des Landes, aber auch in Ankara und Istanbul würden Kundgebungen »mit brutaler Gewalt erstickt«, sagte der Übersetzer der Delegation, Reimar Heider. Soldaten und Polizisten hätten zahlreiche Büros der pro-kurdischen Partei HADEP verwüstet und Funktionäre und Mitglieder der Organisation verhaftet. Auch gegen Zeitungen und Kulturzentren gingen sie vor. »Wegen der drohenden Repression und Folter hatten viele Menschen Angst, uns auch nur die Hand zu schütteln.« Fast alle aus Deutschland und anderen Ländern in die Türkei abgeschobenen Kurden würden weiterhin »routinemäßig mißhandelt«, sagte Heider. Dies habe der türkische Menschenrechtsverein IHD der Gruppe bestätigt. Wegen der Proteste im Ausland hätten die Behörden allerdings »ihre Taktik geändert«. Anstatt direkt bei der Einreise würden die Flüchtling jetzt meist erst in ihren kurdischen Heimatorten »weitab von jeder Öffentlichkeit« festgenommen.
Der im vergangenen November von Hannover aus abgeschobene Kurde Mehmet Özcelik sei so schwer mißhandelt worden, daß er immer noch im Krankenhaus behandelt werden müsse, sagte Heider. Einen anderen kurdischen Flüchtling habe die türkische Armee unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Deutschland zum Militär eingezogen. Dort sei der Mann heftigen Schikanen ausgesetzt. »Der IHD hat uns erklärt, daß viele Kurden in der Armee bei der Grundausbildung zu Tode geprügelt werden oder bei vorgetäuschten Unfällen ums Leben kommen«, sagte Heider. In der kurdisch-türkischen Stadt Diyarbakir war die Delegation am vergangenen Freitag vor dem Gerichtsgebäude festgenommen und stundenlang von der Polizei verhört worden. Fünf der sieben Mitglieder hätten anschließend nach Istanbul zurückfliegen müssen, sagte die Göttinger Studentin Pia Rünger. Nur der Mutter der in der Türkei wegen PKK-Mitgliedschaft zu fünfzehn Jahren Haft verurteilten Hamburgerin Eva Juhnke und einem Übersetzer sei erlaubt worden, in die Stadt Batman weiterzureisen, wo Juhnke inhaftiert ist. »Die türkischen Behörden weisen derzeit alle Ausländer aus den kurdischen Gebieten aus«, sagte Reimar Heider. Auch Abgeordneten des Europäischen Parlaments sei vergangene Woche die Weiterreise verweigert worden. Diese Maßnahme stehe vermutlich im Zusammenhang mit den Feiern zum kurdischen Newroz-Fest am kommenden Wochenende. Es stehe zu befürchten, daß die Sicherheitskräfte »ein Blutbad« unter kurdischen Demonstranten anrichten würden, »und da sind internationale Beobachter unerwünscht«.
Reimar Paul