Neue Zürcher Zeitung, 11.03.1999

Streit über das Kurdenproblem in Deutschland
Die Frage der Abschiebung im Blickfeld von Politik und Justiz

Nach den jüngsten kurdischen Ausschreitungen in Deutschland streiten die Bundesländer einmal mehr über die Abschiebung ausländischer Extremisten. Während Bayern und Baden- Württemberg Gesetzesverschärfungen fordern, lehnen dies die SPD-geführten Länder und Bundesinnenminister Schily ab. Dieser wandelt aber gleichwohl auf den Spuren seines Vorgängers Kanther. Auch die obersten Gerichte befassen sich derzeit mit der Materie.

eg. Berlin, 10. März
Die Krawalle von Anhängern der kurdischen PKK haben in Deutschland die Diskussion über ein härteres Vorgehen gegen kurdische Gesetzesbrecher belebt. Die Innenminister des Bundes und der Länder sind in dieser Sache zu einer Sitzung zusammengekommen, wobei die bestehenden Meinungsunterschiede deutlich hervortraten. Unterdessen wurden auch die ersten Personen, denen die Beteiligung an den jüngsten Ausschreitungen zur Last gelegt wird, in die Türkei abgeschoben. Baden-Württemberg schaffte drei Kurden aus, Nordrhein-Westfalen einen. In weiteren Fällen prüfen die Behörden die Möglichkeit einer Abschiebung kurdischer Gewalttäter.

Bayrische Gesetzesinitiativen
Eine einheitliche Linie der Bundesländer und des Bonner Innenministeriums besteht in der Frage der Ausschaffungen nicht. Die sozialdemokratisch geführten Länder lehnen eine Verschärfung der rechtlichen Bestimmungen auch nach den letzten massiven Krawallen ab. Sie erachten die gesetzliche Grundlage für einen Ausweisungsbescheid als ausreichend seit der Neufassung des Ausländerrechts 1997 als Antwort auf die kurdischen Krawalle Mitte der neunziger Jahre. Gleichzeitig sehen sie aber ein Vollzugsdefizit, da eine Abschiebung in vielen Fällen wegen der drohenden Folter oder einer Todesstrafe gemäss deutschem und internationalem Recht nicht vollzogen werden kann. Bayern und Baden-Württemberg befürworten hingegen eine Gesetzesnovelle. München hat im Bundesrat zwei 1995 bereits verworfene Gesetzesinitiativen zur Verschärfung des Straf- und Ausländerrechts erneut eingebracht.
Ziel der bayrischen Initiativen ist es, zum einen härter als bisher gegen die Parteikader der PKK vorzugehen. Zugleich will man die Strategie der Organisation unterlaufen, wonach bei Aktionen bisher nicht straffällig gewordene Sympathisanten mit einem gesicherten fremdenpolizeilichen Status eingesetzt werden. Diese müssen auch nach einer Verurteilung als Ersttäter meist wegen der existierenden rechtlichen Hürden nicht fürchten, abgeschoben zu werden. So konnte Bayern von 1200 registrierten Teilnehmern an einer Autobahnblockade im Jahr 1994 bisher 5 Personen ausschaffen. Selbst in dem für seinen harten ausländerpolitischen Kurs bekannten Bayern lässt sich nicht behaupten, dass Extremisten einem besonderen Abschiebungsrisiko ausgesetzt sind.
Der Bonner Innenminister Schily lehnt zwar eine Gesetzesverschärfung ebenfalls ab, tritt aber gleichwohl für ein resoluteres Vorgehen gegen kurdische Gewalttäter ein. So verfolgt er ein Vorhaben seines konservativen Amtsvorgängers Kanther weiter, das eine erleichterte Abschiebung zur Folge hätte. Schily will mit der Türkei eine völkerrechtlich verbindliche Abmachung schliessen, wonach sich Ankara verpflichten soll, ausgeschaffte Kurden nicht zu foltern oder zum Tod zu verurteilen. Kanther hatte eine gleichlautende briefliche Zusicherung seines türkischen Amtskollegen erhalten, doch haben deutsche Gerichte bereits geurteilt, die nur in einem Brief ausgesprochene Garantie biete keinen ausreichenden Schutz für abgeschobene Kurden. Für einen Innenminister, der auf die in ausländerpolitischen Fragen besonders sensiblen Grünen Rücksicht nehmen muss, geht Schily an den Rand des ihm politisch Möglichen. Da er wegen seiner Haltung zur erleichterten Einbürgerung vom Koalitionspartner kritisiert wurde, taktiert der Minister vorsichtig.

Grundsatzentscheide der Gerichte
Weil eine Verschärfung des Straf- und Ausländerrechts angesichts der rot-grünen Mehrheit im Bundestag nicht zu erwarten ist, die Ausländerbehörden aber auch in SPD-regierten Ländern unterdessen eine härtere Linie gegen PKK- Aktivisten verfolgen, müssen die Gerichte den bestehenden Spielraum abklären. Die Rechtslage führt zu der paradoxen Situation, dass politisch motivierte Täter - sie stellen für die öffentliche Sicherheit nach Auffassung aller Länder die eigentliche Bedrohung dar - in der Regel schwieriger abzuschieben sind als Personen, die wegen illegalen Aufenthalts oder gewöhnlicher Kriminalität des Landes verwiesen werden sollen. So hat Baden-Württemberg im letzten Jahr zwar 499 Kurden ausgeschafft und war damit Spitzenreiter aller Bundesländer, doch meist erfolgten die Abschiebungen nicht nach exilpolitischen Straftaten.
Gemäss dem deutschen Ausländerrecht, das sich an die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention anlehnt, kann nicht abgeschoben werden, wer in seinem Heimatstaat wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Ausnahme von dieser Grundregel ist möglich, wenn der Betroffene aus schwerwiegenden Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik darstellt. So betonen immer wieder Kurden, denen die Abschiebung droht, sie würden als PKK-Angehörige in der Türkei verfolgt, schränken aber zugleich ein, sie seien keine höheren Funktionäre und damit kein besonders schwerwiegendes Sicherheitsrisiko. Das Bundesverwaltungsgericht in Berlin klärt seit Dienstag, wie sehr sich ein Kurde für die PKK engagieren muss, um den Anspruch auf Asyl oder anderen Abschiebeschutz zu verlieren.

Grosse Spannweite
Dem Prozess liegen drei, die ganze Spannweite aufzeigende Fälle zugrunde: Ein Ehepaar, das für die PKK nur gespendet und an einer Sitzblockade teilgenommen hat; ferner ein wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung verurteilter einfacher Aktivist und schliesslich ein höherer Funktionär, der wegen schwerer Freiheitsberaubung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt ist. Vor wenigen Tagen ist ein anderes Grundsatzurteil im Spannungsfeld von Asylrecht und politisch motivierter Kriminalität ergangen. Das Bundesverfassungsgericht hiess die Beschwerde eines Kurden gegen die Ablehnung seines Asylantrags gut. Der Kurde war in der Türkei als angeblicher PKK-Anhänger mehrfach inhaftiert und gefoltert worden. Ein deutsches Verwaltungsgericht hatte jedoch befunden, die Massnahmen eines Staates zur Abwehr von Terroristen seien keine staatliche Verfolgung und begründeten keinen Anspruch auf Asyl. Demgegenüber entschied das Verfassungsgericht, auch eine Person, der in ihrem Heimatstaat Terrorismus zur Last gelegt wird, könne Asyl erhalten. Es sei nicht auszuschliessen, dass die Türkei den Kläger unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung politisch verfolgt habe.