junge Welt 11.03.1999

Werden abgeschobene Kurden in der Türkei gefoltert?
junge Welt sprach mit Günter Burkhardt

(Günter Burkhardt ist Geschäftsführer der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl)
F: Wie nun bekannt wurde, ist der am 5. März bei einer polizeilichen Razzia im Büro der Zeitung Dayanisma in Istanbul festgenommene Süleymann Yeter unter polizeilichem Verhör gestorben.  Welche Erkenntnisse zu den Todesumständen liegen Ihnen vor?
Der Bildungsbeauftragte der Hafenarbeitergewerkschaft und Redakteur der Zeitung Dayanisma, Süleymann Yeter, ist am 7.März bei der Vernehmung durch die Terrorismusabteilung des Polizeipräsidiums Istanbul gefoltert und getötet worden. Entgegen der Behauptung des zuständigen Staatsanwaltes haben zwei Rechtsanwälte Folterspuren am Körper des Toten gefunden. Der Rechtsanwalt Keles Öztürk sagte, daß Yeter bereits anläßlich einer früheren Festnahme im Februar 1997 schwer gefoltert worden sei. Gegen die Folterer war vor einer Strafkammer in Istanbul ein Verfahren eingeleitet worden. In diesem hätte Yeter sie nun am 9.April identifizieren sollen.
Dem türkischen Menschenrechtsverein IHD sind allein 1998 acht Fälle bekannt, in denen Menschen unter der Folter in der Türkei ums Leben kamen.
F: Liegen Ihnen Informationen über Fälle vor, in denen aus Deutschland in die Türkei abgeschobene Kurden gefoltert wurden?
Es gibt eine Fülle von Beweisen, wonach aus der Bundesrepublik abgeschobene Flüchtlinge nach ihrer Rückkehr in die Türkei gefoltert wurden. Und es gibt eine Fülle von Indizien, daß in der Türkei systematisch gefoltert wird.
Der niedersächsische Flüchtlingsrat hat zum Beispiel eine entsprechende Dokumentation erarbeitet, die wir dem Auswärtigen Amt übergeben haben. Darin wird eine Reihe von Fällen aufgezeigt, in denen es nach der Abschiebung zu Folter kam. Es ist uns jüngst ein Fall bekanntgeworden, in dem ein im Asylverfahren abgelehnter Kurde nach seiner Abschiebung aus Deutschland im Jahre 1996 zur Abteilung für Terrorismusbekämpfung überstellt wurde. Während seiner 85tägigen Haft wurde er mehrfach gefoltert. Danach wurde er zur Ableistung des Wehrdienstes in die Osttürkei geschickt. 1998 floh er erneut nach Deutschland. Im Februar 1999 wurde er hier als Flüchtling anerkannt.
Deshalb fordern wir einen grundlegenden Kurswechsel in der Türkeipolitik der Bundesregierung. Und wir warnen eindringlich davor, den schwarz-gelben Kurs in der Innen- und in der Außenpolitik in bezug auf die Kurdenfrage fortzusetzen.
F: Aus Deutschland werden allerdings - unter Rot-Grün - weiterhin Kurden abgeschoben, die sich an den Protesten gegen die Verschleppung Öcalans beteiligt hatten.
Es geht langsam an die Identität einer rot-grünen Bundesregierung, die von Menschenrechten redet, aber faktisch die Politik der alten Regierung fortsetzt. Wir warnen davor, Kurden in die Türkei abzuschieben. Die Türkei ist kein berechenbarer Partner für Abmachungen, in denen rechtsstaatliche Verfahrensweisen und der Verzicht auf Folter zugesichert werden. Die Bundesregierung trägt eine Mitschuld, wenn aus unserem Land Abgeschobene nach ihrer Rückkehr gefoltert werden.
Wir erwarten daher vom Auswärtigen Amt, daß es in kürzester Frist einen neuen Lagebericht vorlegt, der der tatsächlichen Situation in der Türkei Rechnung trägt.
F: Wie erklären Sie sich die außenpolitische Ungleichbehandlung der Problematik des Kosovo- Konflikts und der Problematik der Kurdenfrage?
Es gibt in der Außenpolitik eine Ungleichbehandlung. Man droht Jugoslawien massiv mit militärischer Gewalt. Der Türkei bleibt dies hingegen erspart. Offensichtlich ist für Deutschland der Flugzeugträger Türkei in bezug auf den Nahen Osten wichtiger als der Einsatz für die Einhaltung der Menschenrechte.
Interview: Ina Kaden