junge Welt 05.03.1999

Hungerstreik in siebzehn Gefängnissen
Kurdische Häftlinge protestieren gegen Abschiebung in die Türkei

Mehr als 100 kurdische und türkische Gefangene befinden sich zur Zeit in der BRD im Hungerstreik. In 15 Vollzugsanstalten sowie den Abschiebegefängnissen in Büren und Hamburg-Glasmoor fordern die Inhaftierten die sofortige Freilassung Abdullah Öcalans und von der Bundesregierung eine Garantie für die Sicherheit seines Lebens. In Büren und Glasmoor protestieren die Hungerstreikenden auch gegen ihre drohende Abschiebung in die Türkei. »Der Ort, wohin kurdische Gefangene abgeschoben werden, ist uns allen bekannt: die Türkische Republik, deren Justiz nach Belieben Menschen diskriminiert, festnimmt und foltert«, heißt es in der Protesterklärung der Gefangenen des Abschiebegefängnisses Hamburg-Glasmoor, die jW vorliegt. Der Hamburger Journalist Michael Enger, der im Auftrag des Fernsehmagazins Monitor in Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingsrat Niedersachsen ehemalige Abschiebehäftlinge in der Türkei aufspürte, kam zu dem gleichen Schluß. »Alle, die wir gefunden haben, sind direkt nach der Ankunft in der Türkei inhaftiert und gefoltert worden«, so Michael Enger zu jW.
Der Grund für die Gefährdung von Abschiebehäftlingen ist laut Rechtsanwältin Cornelia Ganten-Lange die Europäische Übereinkunft über Rechtshilfe in Strafsachen, die am 20.4.1959 getroffen wurde und für die Türkei am 22.9.1990 in Kraft trat. Auf Grundlage des Artikels 22 dieser Übereinkunft findet ein regelmäßiger Strafnachrichtenaustausch zwischen der BRD und der Türkischen Republik statt, so Cornelia Ganten-Lange. In einem Urteil vom 20.8.1997 kam das Verwaltungsgericht Gießen zu dem Schluß, dies bedeute eine Gefährdung der betroffenen Personen und gewährte in einem Fall Abschiebeschutz.
Dieses Urteil machte sich der Bremer Rechtsanwalt Israel bei seinem Mandanten Yasar Yilderim zunutze, der in Hamburg bei den Protestaktionen vor dem griechischen Konsulat am 16.Februar festgenommen wurde und nun nach einem Schnellverfahren abgeschoben werden soll. Ob mit dem Eilantrag auf vorläufigen Rechtsschutz die für heute geplante Abschiebung verhindert werden konnte, stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest.
Der 28jährige Kurde Mehmet Kilic, der ebenfalls bei den Protestaktionen verhaftet wurde und in Köln in Abschiebehaft saß, wurde am 1. März trotz eines solchen Antrags nach Istanbul abgeschoben. Die türkischen Tageszeitungen Hürriyet und Sabah hatten von der bestehenden Abschiebung des »PKK-Anhängers Mehment K.« berichtet. Den Antrag seiner Anwältin auf Abschiebestopp, weil aufgrund dieser Artikel mit der Verhaftung ihres Mandanten direkt nach der Ankunft in der Türkei zu rechnen und eine Folter nicht auszuschließen sei, lehnte das Gericht mit der fadenscheinigen Begründung ab, der Betroffene könne wegen der Abkürzung seines Namens nicht identifiziert werden. Die Initiative »Zeit für Frieden in Kurdistan« hatte am Donnerstag zu einer Protestaktion am Hamburger Flughafen gegen die Abschiebung eines weiteren Kurden aufgerufen. Laut Aussagen eines Teilnehmers der Aktion gab es ein großes Aufgebot des Sicherheitsdienstes des Flughafens, des Bundesgrenzschutzes und einer Sondereinheit der Polizei, ehe die Aktion überhaupt begonnen hatte. Die Sicherheitsbeamten gestatteten den Protestierenden, Flugblätter in der Eingangshalle zu verteilen. Versuche, mit den übrigen Fluggästen der Maschine der Turkish-Airlines, mit der der Kurde abgeschoben wurde, ins Gespräch zu kommen, seien gescheitert. Die vorwiegend türkischen Passagiere hätten diesen Schritt durchaus berechtigt gefunden. Tenor der Reaktionen der übrigen Fluggäste sei gewesen, die politische Situation in der Türkei sei sicher bedenklich, aber »Straftäter müssen raus«.
Birgit Gärtner, Hamburg