junge Welt 06.03.1999

USA bereiten Militärputsch im Irak vor
Hoffnung auf Opposition aufgegeben. Prowestliche Militärjunta soll Saddam Hussein stürzen

In einem Interview mit der türkischen Tageszeitung Milliyet vom 1. März sagte der neue US-»Sonderbeauftragte für einen Wechsel im Irak«, Frank Ricciardione: »Wahrscheinlich wird es einen Militärputsch geben. Er wird sehr plötzlich und ohne Vorwarnung stattfinden.« Ricciardones Ausführungen bestätigen indirekt, daß die 97 Millionen US-Dollar, die die US-Regierung Iraks zivilen Oppositionsgruppen versprochen und teilweise auch ausbezahlt hatte, die reine Verschwendung sind.
Zunächst lag das Problem darin, daß die wichtigsten kurdischen und schiitischen Oppositionskräfte u. a. aus Rücksichtsnahme auf ihre Unterstützer in Syrien und im Iran nicht offiziell als Werkzeuge der USA dastehen wollten. So betonte z. B. der Vorsitzende des - im wesentlichen schiitischen - »Obersten Rates der islamischen Revolution im Irak« (SCIRI), Ayatollah Muhammad Baqr al-Hakim, am 13. Februar in einem Interview mit der Pariser Zeitung Le Monde, daß seine Organisation das Finanzangebot der USA ablehne, zum einen, weil es gerade die USA - und Frankreich - gewesen seien, die bislang dem Regime geholfen hätten, das irakische Volk zu unterdrücken, und zum anderen, weil das »Irak Befreiungsgesetz«, das diese Millionen freigibt, keinen Ton über das Los des irakischen Volkes verliere, sondern ausschließlich von Massenvernichtungswaffen und der Gefahr für die Nachbarstaaten spreche. Der Sturz des Regimes sei in erster Linie eine Angelegenheit des irakischen Volkes.
Während er aber bereits in diesem Interview die »internationale Gemeinschaft«, den UN-Sicherheitsrat und die »einflußreichen Mächte« aufrief, zugunsten des irakischen Volkes zu intervenieren und zwar nach dem Vorbild ihrer Intervention im Kosovo, hat sich der Schwerpunkt seiner Argumentation seitdem deutlich verschoben. In einem Interview mit der italienischen Zeitung Repubblica vom 24. Februar erwähnte er zwar immer noch Vorbehalte gegenüber den amerikanischen Plänen, sagte aber auch: »Wir sind bereit, mit den USA zusammenzuarbeiten, um unserem Volk internationalen Schutz zu verschaffen und das Regime in Bagdad zu stürzen.« Er forderte die USA auf, die Flugverbotszone auf den gesamten Irak auszudehnen. Im zitierten Le-Monde-Interview hatte Baqr al-Hakim die Vorstellung, daß die territoriale Einheit des Iraks im Falle des Sturzes des Regimes in Frage gestellt werden könne, weit von sich gewiesen, da der SCIRI Angehörige aller islamischen Religions- und Volksgruppen umfasse und keine der Oppositionskräfte das wünsche. Statt dessen habe man sich auf eine föderative Lösung geeinigt. Der Hinweis auf das Kosovo jedoch impliziert etwas anderes. Die dort geplante NATO-Besatzungszone hat ihr Vorbild in Bosnien. Für den Irak würde das die Schaffung halb-autonomer Zonen etwa der Schiiten im Süden und der Kurden im Norden bedeuten. Baqr el-Hakims Sinneswandel war ganz offensichtlich das Ergebnis der Ermordung des führenden schiitischen Würdenträgers im Irak, des Ayatollah Sayyid Muhammad al- Sadr, und der nach gewohntem Muster blutigen Niederschlagung der darauf in etwa 20 Städten folgenden Volksaufstände. Wie es scheint, kam er jedoch zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt.
Inzwischen nämlich war es der Türkei mit US-Hilfe gelungen, PKK-Führer Öcalan in ihre Hände zu bekommen und dessen Organisation durch die gleichzeitige militärische Großoffensive in Irakisch-Kurdistan weiter zu schwächen. Je mehr aber die PKK, deren Guerilleros in Irakisch-Kurdistan ihre wesentlichen Rückzugsbasen haben, militärisch geschwächt wird, desto weniger ist die Türkei auf die Söldnerdienste der »Demokratischen Partei Kurdistans-Irak« des Barzani-Clans angewiesen, eines wichtigen Bestandteils der irakischen Opposition. Die Türkei ist weder daran interessiert, an ihrer Südgrenze einen einheitlichen Irak zu haben, in dem Kräfte wie der vom Iran unterstütze SCIRI etwas zu sagen haben, noch an einem faktisch unabhängigen kurdischen Staat.
Ricciardone hat gegenüber Milliyet die Idee einer Aufteilung des Iraks zurückgewiesen. Die sich aufdrängende aber hier nur implizit gestellte Frage, wie denn die rund 50 Prozent der Gesamtbevölkerung stellenden Schiiten und die Kurden, um nur die wichtigsten nicht sunnitisch-arabischen Gruppen zu nennen, auf ein Militärregime reagieren würden, das notwendigerweise wie das Saddam-Regime einen ausgeprägt sunnitisch-arabischen Charakter haben würde, antwortete er: »Natürlich wird es eine Zeitlang einen Machtkampf geben, aber es ist viel riskanter, nichts zu tun«.
Anton Holberg