taz 6.3.1999

Bombenanschlag auf Gouverneur in der Türkei
Drei Tote und neun Verletzte bei Explosion. Linksradikale Gruppe bekennt sich zu Attentat
Ankara/Diyarbakir (AFP/rtr) - Bei einem Bombenanschlag auf den Gouverneur der türkischen Provinz Cankiri sind gestern drei Menschen getötet worden. Gouverneur Ayhan Cevik und neun weitere Menschen wurden nach offiziellen Angaben verletzt. Die Explosion erfolgte den Angaben nach gegen 8.30 Uhr morgens, als der Wagen von Gouverneur Cevik ein Geschäft passierte, das Gasflaschen verkauft. Bei dem Anschlag starben ein Leibwächter Ceviks, ein Passant und ein Schulkind. Cevik wurde in ein Krankenhaus nach Ankara gebracht.
Innenminister Cahit Bayar sprach in Istanbul von einem „furchtbaren Anschlag“ und rief die Gouverneure zur Verstärkung der Sicherheit in ihren Provinzen auf. Für den Anschlag habe die linksextreme Untergrundorganisation Tikko die Verantwortung übernommen, teilte der Chef der türkischen Polizei, Necati Bilican, in Ankara mit. Angaben darüber, wie sich die Gruppe zu der Tat bekannte, machte er nicht. Die maoistische Tikko ist seit Anfang der 70er Jahre in der Türkei bekannt. Der Schwerpunkt ihrer Aktivitäten lag bislang in der östlichen Region Tunceli. In dieser Gegend leben hauptsächlich alevitische Kurden.
Bereits am Donnerstag waren bei einem mutmaßlichen Selbstmordattentat kurdischer Extremisten nach Angaben aus Sicherheitskreisen eine Frau getötet und vier Personen verletzt worden. Die Bombe der mutmaßlichen Attentäterin sei vorzeitig auf dem Hauptplatz der südöstlichen Stadt Batman explodiert.
Der Anschlag habe eigentlich einer nahe gelegenen Polizeistation gegolten. Vermutlich gehörte die Frau der Kurdischen Arbeiterpartei PKK des inhaftierten Kurdenführers Abdullah Öcalan an. Es wäre das vierte Selbstmordattentat in der Türkei seit November 1998.
 

Neue Zürcher Zeitung, 06.03.1999

Blutiger Bombenanschlag in der Türkei
Die PKK kündigt eine Verschärfung ihres Kriegs an
Ein blutiger Bombenanschlag hat am Freitag in der zentralanatolischen Stadt Cankiri drei Todesopfer gefordert. In der Türkei ist die Angst vor einer neuen Welle terroristischer Anschläge gestiegen. Einen Tag zuvor hatte die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK ihre Mitglieder aufgerufen, ihren Kampf auch in den Westen der Türkei zu verlegen.
it. Istanbul, 5. März
Ein Bombenanschlag hat am Freitag in der türkischen Stadt Cankiri drei Todesopfer gefordert. Dabei hat das Attentat vor allem durch seine professionelle Ausführung überrascht. Nach Angaben der Behörden wurde der in einem parkierten Auto versteckte Sprengsatz per Fernsteuerung gezündet, als der Wagen des Gouverneurs, der sich auf dem Weg zur Arbeit befand, vorbeifuhr. Drei Personen, unter ihnen auch ein Schulkind, kamen dabei ums Leben, der Gouverneur wurde mit schweren Verletzungen in ein Spital in Ankara übergeführt. Der Anschlag, welcher keine 100 Kilometer von der Hauptstadt Ankara entfernt erfolgte, ist zudem von einer brisanten symbolischen Aussagekraft. Die Täter wollten offenbar beweisen, dass sie ihre Aktionen auch im «Herzen der Türkei» austragen können, zudem noch in einer für die Waffenindustrie wichtigen Stadt. In einer ersten Stellungnahme hat Ministerpräsident Ecevit erklärt, die Täter seien unbekannt. Sein Aufruf an die «Terroristen», sich zu ergeben, weist darauf hin, dass Ankara die Täter in den Reihen der kurdischen PKK vermutet. Die Polizei liess später verlauten, die Täter seien Mitglieder der kurdischen Organisation Tikko. Die Tikko hat in den letzten Jahren eng mit der PKK zusammengearbeitet. In der Bevölkerung wächst die Angst vor einer neuen Welle von kurdischen Terroranschlägen.
Aufruf zum totalen Krieg
Zwei Wochen nachdem die Festnahme des PKK-Chefs Öcalan das Ende seines Experiments einer Politisierung der Kurdenfrage eingeleitet hatte, scheint die PKK wieder auf das Mittel der Terroranschläge zurückzugreifen, gegenüber denen der türkische Staat faktisch machtlos ist. Wie am Donnerstag ein Vertreter der Partei in Wien ankündigte, soll der Kampf der Kurden ab sofort auf die ganze Türkei sowie auf den Nordirak ausgedehnt werden. Dies ist laut seinen Angaben vom unlängst an einem geheimgehaltenen Ort abgehaltenen 6. PKK-Kongress beschlossen worden. Dieser Kongress habe ferner einstimmig Abdullah Öcalan zum PKK-Vorsitzenden wiedergewählt. Solange dieser aber in Haft sei, werde die Partei von einem siebenköpfigen Vorsitz geleitet. Da sich dieser Rat in seiner überwältigenden Mehrheit aus führenden Feldkommandanten wie dem bei der PKK-Guerilla populären Kommandanten Cemil Bayik sowie Öcalans Bruder Osman zusammensetzt, ist die neue Strategie entsprechend militärisch. Nach den Angaben des Sprechers ist künftig im kurdischen Südosten der Türkei und im türkischen Westen, wo grosse kurdische Bevölkerungsgruppen wohnen, mit ständigen «Intifada-Aktionen» zu rechnen. Kurdische Jugendliche wurden aufgerufen, ihren Kampf zu intensivieren, wobei «alle Mittel» gegen den türkischen Staat legitim seien. Ferner wurden die Kurden zum erstenmal in diesem Jahrzehnt wieder aufgerufen, sich der Guerilla anzuschliessen.
Eine Serie von Fehlkalkulationen
Der 6. Kongress der PKK widerspiegelt deutlich, wie kläglich das Projekt einer friedlichen Beilegung der Kurdenfrage in der Türkei gescheitert ist. Als Abdullah Öcalan vor vier Monaten nach Europa aufbrach, um die Kurdenfrage des Nahen Ostens zu internationalisieren und seine PKK zu politisieren, hoffte er, dass der 6. Kongress diesen Politisierungsprozess besiegeln würde. Wie er erklärte, würde der Kongress die neuen Mitglieder des Exil-Parlaments sowie einer kurdischen Exil- Regierung wählen und dem Krieg eine endgültige Absage erteilen. Dies war eine Fehlkalkulation von ihm und dem gemässigten, zum Dialog mit Ankara bereiten PKK-Flügel. Kein europäisches Land wollte ihn haben. So kam es dazu, dass der 6. Kongress, anstatt die Politisierung zu besiegeln, sich nun die palästinensische Organisation Hamas und deren blutige Aktionen zum Beispiel genommen hat.
Doch auch Ankara scheint sich verkalkuliert zu haben. Die türkische Regierung hat monatelang mit Nachdruck von den europäischen Staaten die Auslieferung Öcalans gefordert, obwohl gemässigte Stimmen immer wieder davor warnten, dass eine Haft Öcalans in der Türkei das Land in seinen Fundamenten erschüttern würde. Die Regierung Ecevit kalkulierte auch falsch, als sie nach der Festnahme Öcalans, noch trunken vom Triumph, das Ende des «kurdischen Terrors» ankündigte. Der Anschlag in Cankiri sowie das Selbstmordattentat einer jungen Kurdin in der Stadt Batman am Donnerstag haben dies deutlich vor Augen geführt.
 

Frankfurter Rundschau, 06.03.1999

Türkei
Mehrere Tote bei Anschlag auf Provinz-Gouverneur
öhl ATHEN, 5. März. Bei der Explosion einer Autobombe sind am Freitag morgen in der zentralanatolischen Stadt Cankiri drei Menschen getötet worden. Das Attentat galt offenbar dem Provinz-Gouverneur Ayhan Cevik.  Die in einem geparkten Auto versteckte Bombe detonierte, vermutlich über Funk ferngezündet, als der Wagen des Gouverneurs vorbeifuhr. Sein Leibwächter, ein zufällig vorbeikommendes 14 Jahre altes Mädchen und ein weiterer Passant waren sofort tot. Cevik erlitt schwere Verletzungen und wurde in eine Klinik nach Ankara gebracht. Auch sein Fahrer und weitere neun Menschen wurden verletzt.
Wer hinter dem Anschlag steckt, war zunächst unklar. Für erste von der Polizei angestellte Mutmaßungen, das Attentat gehe auf das Konto der PKK, gab es keine Anhaltspunkte, zumal die Organisation bisher in dieser Region nie in Erscheinung getreten war. Am Freitag nachmittag erklärte der Chef der türkischen Polizei, die linksextreme Untergrundorganisation Tikko, die „Türkische Arbeiter- und Bauern-Befreiungsarmee“, habe sich zu dem Attentat bekannt. Cevik soll Morddrohungen dieser in den siebziger Jahren gegründeten maoistischen Gruppe erhalten haben, seit er als Gouverneur in der nordanatolischen Stadt Tokat amtierte. Dort ist die Tikko besonders aktiv.