Frankfurter Rundschau, 06.03.1999

Schily prüft Abschiebungen
Minister warnt davor, Kurden voreilig zu kriminalisieren

von Bernhard Honnigfort
DRESDEN, 5. März. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) läßt prüfen, ob es möglich ist, straffällig gewordene Anhänger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK aus Deutschland abzuschieben. „Ich kann keine Voraussagen machen, ob die Möglichkeiten dazu bestehen“, sagte Schily am Freitag nach der Innenministerkonferenz in Dresden. Die Prüfung werde Zeit in Anspruch nehmen. Es seien verfassungsmäßige und völkerrechtliche Grenzen einzuhalten.
Schily äußerte sich skeptisch darüber, ob ein Briefwechsel zwischen dem früheren Innenminister Manfred Kanther (CDU) und dessen türkischem Kollegen Grundlage dafür sein könnte, PKK-Anhänger abzuschieben, ohne daß ihnen in der Türkei Gefahr für Leib und Leben drohe. „Ich warne vor allzu großen Erwartungen“, sagte Schily.
Er mahnte an, nicht von „Kurdenkrawallen“ in Deutschland zu sprechen.  Die große Mehrzahl der Kurden habe sich friedlich verhalten. Es sei nicht in Ordnung, sie durch eine falsche Wortwahl mit den Ausschreitungen von PKK-Anhängern in Verbindung zu bringen.
Zentrales Thema der als „Kamingespräche“ bezeichneten Dresdner Konferenz war die Lage in Bosnien-Herzegowina. Von 350 000 Flüchtlingen, die aus dem Bürgerkrieg nach Deutschland geflohen waren, seien inzwischen 260000 zurückgekehrt, sagte der Vorsitzende der Konferenz, Sachsens Innenminister Klaus Hardraht (CDU). Nur 3500 Flüchtlinge hätten abgeschoben werden müssen, das seien ein Prozent.  „Die bosnischen Flüchtlinge haben ihr Gastrecht nicht mißbraucht“, sagte Hardraht. Der überwiegende Teil sei freiwillig zurückgegangen.
Hardraht kündigte an, man werde darauf bestehen, daß auch die restlichen 90 000 das Land verlassen. „Notfalls auch mit Abschiebungen.“ In Härtefällen, in denen Flüchtlinge traumatisiert sind oder in international anerkannten Lagern eingesperrt gewesen waren, werde geprüft, ob sie länger in der Bundesrepublik bleiben könnten.
Der Beauftragte der Bundesregierung für Bosnienflüchtlinge, Hans Koschnick, sagte dazu, wer es verkraften könne, solle nach Hause gehen. „Aber wir werden mit humanitären Fragen sehr sensibel umgehen.“ Koschnick wies darauf hin, daß derzeit 180 000 Flüchtlinge aus Kosovo in Deutschland leben, von denen der überwiegende Teil zurück nach Hause möchte. Sollte es bei den Friedensverhandlungen für das umkämpfte Gebiet zu keiner Lösung kommen, „wird es grausig werden in Europa“, warnte Koschnick.