Süddeutsche Zeitung 04.03.99
Politik

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„Mißhandlung kann Asylgrund sein“
Karlsruhe gibt Kurden recht
PKK-Unterstützer war in der Türkei gefoltert worden

ker. Karlsruhe (Eigener Bericht) – Bei Asylklagen kurdischer Sympathisanten der Arbeiterpartei Kurdistans PKK müssen deutsche Gerichte prüfen, ob diese in der Türkei härter als sonstige Straftäter und jenseits der staatlichen Terrorismusbekämpfung verfolgt wurden. Das hat die Asylkammer des Bundesverfassungsgerichts in einer Entscheidung verlangt, mit der es einem 54jährigen Türken kurdischer Volkszugehörigkeit recht gab. Auf dessen Verfassungsbeschwerde muß das Verwaltungsgericht Lüneburg prüfen, ob seine vielfachen Festnahmen und Mißhandlungen unter dem Deckmantel angeblicher Terrorismusbekämpfung erfolgten. Auch Maßnahmen eines Staates zur Abwehr des Terrorismus könnten politische Verfolgung sein.  Dies gelte, wenn staatlicher Gegenterror darauf gerichtet sei, die nicht unmittelbar beteiligte zivile Bevölkerung unter den Druck brutaler staatlicher Gewalt zu setzen.
Der Asylsuchende aus Ost-Anatolien war 1990 in die Bundesrepublik eingereist. Später folgten ihm fünf seiner Kinder. Der Mann gab an, zwei Söhne seien aktive PKK-Kämpfer in den Bergen Kurdistans. Er selbst unterstütze die PKK finanziell und sei deshalb neun bis fünfzehn Mal verhaftet worden. Meist sei er nach ein bis zwei Tagen freigelassen worden, beim letzten Mal allerdings erst nach einem Monat. Er sei mißhandelt und gefoltert worden.
Davon ging auch das Verwaltungsgericht aus. Es stufte die Maßnahmen jedoch als Teil der staatlichen Terrorismus-Bekämpfung ein. Daß die geschilderte Behandlung über das bei Verhören in türkischen Gefängnissen übliche Maß hinausging, sei nicht bewiesen worden.
Dazu entschied Karlsruhe unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung, auch Maßnahmen der staatlichen Selbstverteidigung könnten politische Verfolgung im Sinn des Asylrechts sein. So könne eine Strafverfolgung in eine politische Verfolgung umschlagen, wenn ein Betroffener härter als üblich behandelt und wenn insbesondere Folter aus politischen Gründen verschärft eingesetzt werde.  Nicht asylbegründend seien staatliche Maßnahmen nur dann, wenn sie sich auf die Abwehr des Terrorismus beschränkten. Im Fall des asylsuchenden Kurden hätte die Häufigkeit seiner Verhaftungen, deren schikanöse Tendenz und die ihm zugefügte menschenrechtswidrige Behandlung berücksichtigt werden müssen (AZ: 2 BvR 86/97)
Öcalan schwer belastet
Diyarbakir (dpa) – Der frühere Stellvertreter des Kurdenführers Abdullah Öcalan, Semdin Sakik, hat den inhaftierten Chef der PKK vor dem Staatssicherheitsgericht der südosttürkischen Provinz Diyarbakir schwer belastet. Die türkische Nachrichtenagentur Anatolien berichtet, im Prozeß gegen ihn selbst habe Sakik ausgesagt, die Erschießung von 33 unbewaffneten türkischen Soldaten sei von Öcalan per Funk „befohlen“ worden. Bei einer Befehlsverweigerung hätte „ein Diktator wie Öcalan“ ihn sicherlich liquidiert, sagte Sakik. Öcalan wird der Tod von 30 000 Menschen angelastet, Sakik für 191 Anschläge mit 240 Todesopfern verantwortlich gemacht.