Berliner Zeitung 11.02.99

Exilparlament
Das kurdische Exilparlament konstituierte sich im April 1995 in den Niederlanden. Es versteht sich als Vertretung nicht nur der in der Türkei lebenden, sondern aller Kurden weltweit.
Die 65 Abgeordneten wurden von Kurden in den GUS-Staaten, Nordamerika und Australien gewählt und vertreten insgesamt zwölf Gruppierungen.
Die prokurdische Partei DEP und die Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK), politischer Arm der PKK, geben im Exilparlament den Ton an. Beide sind in der Türkei verboten.

Madrid will Kurden-Parlament fernhalten
Autonomes Baskenland räumt Exilpolitikern trotz Protesten aus der Türkei Gastrecht ein
Von Hinnerk Berlekamp
MADRID/BERLIN, 10. Februar. „Mit allen Mitteln“ will die spanische Regierung verhindern, daß das kurdische Exilparlament wie geplant im Juli im autonomen spanischen Baskenland zusammentreten kann. Die geplante Tagung sei ein „Propaganda-Akt einer terroristischen Gruppe“, sagte Innenminister Jaime Mayor Oreja am Mittwoch in Madrid unter Anspielung auf die separatistische Kurdische Arbeiterpartei (PKK), die über ihren politischen Arm in dem Gremium vertreten ist. Der konservative Politiker pflichtete damit dem türkischen Premier Bülent Ecevit bei, der am Vortag erklärt hatte, die Tagung des Exilparlamentes werde „dem kurdischen Terrorismus Flügel verleihen“.
Das Präsidium des baskischen Autonomie-Parlamentes in Vitoria hatte am Dienstag mit drei gegen zwei Stimmen der Bitte der kurdischen Exilpolitiker entsprochen, ihnen Räume zur Verfügung zu stellen. Die drei nationalistischen Regionalparteien stimmten für den Antrag, die Vertreter der in Madrid regierenden Konservativen sowie der oppositionellen Sozialisten votierten dagegen. Für die Sozialisten bekundete der Abgeordnete Manuel Huertas die „Solidarität mit den gerechten Bestrebungen des kurdischen Volkes“, die aber nicht dazu führen dürfe, die spanische Außenpolitik zu belasten. Frühere Tagungen des Exilparlaments in den Niederlanden, Rußland und zuletzt im September 1998 in Italien hatten regelmäßig zu schweren Verstimmungen zwischen der Türkei und den Gastgeberländern geführt.
Die in Vitoria regierende Baskische Nationalpartei (PNV) erklärte am Mittwoch, sie werde dem Druck aus Madrid und Ankara nicht nachgeben. Die Türkei sei kein demokratischer Staat, sondern ein „vom Militär gelenktes Unterdrückungsregime“. Die Anwendung von bewaffneter Gewalt durch die PKK rechtfertigten die baskischen Nationalisten als „letztes Mittel, um der Vollendung des Völkermordes an den Kurden zuvorzukommen“.
Unter den baskischen Nationalisten genießen kurdische Organisationen traditionell große Sympathie. Besonders das radikale Wahlbündnis Euskal Herritarrok (EH), das der Untergrundbewegung ETA nahesteht und die PNV-geführte Minderheitsregierung in Vitoria toleriert, zieht Parallelen zwischen der Situation der Basken und der Kurden, da es sich bei beiden um Völker handle, denen ein eigener Staat verwehrt werde.
Überhaupt kein Verständnis für die Entscheidung, das kurdische Exilparlament aufzunehmen, zeigte der baskische Unternehmerverband. Er verwies darauf, daß die Türkei zu den wichtigsten neuerschlossenen Märkten für die Industrie des Baskenlandes gehöre. Dieser Erfolg sei nun akut bedroht.


Neue Zürcher Zeitung 11.02.1999

Spanischer Konsens zum Baskenproblem
Treffen zwischen Aznar und Borrell

Der spanische Regierungschef Aznar hat erstmals den sozialistischen Präsidentschaftskandidaten Borrell empfangen, um das Ausmass an Übereinstimmungen in wichtigen nationalen Belangen auszuloten. Die zwei grossen Parteien des Landes bemühen sich um einen Konsens in der Baskenfrage und zum europäischen Kohäsionsfonds.

Mr. Madrid, 10. Februar
Der vor neu Monaten überraschend zum Spitzenkandidaten seiner Partei gekürte frühere sozialistische Minister Borrell ist am Dienstag abend erstmals in seiner neuen Funktion mit dem konservativen Regierungschef Aznar zusammengetroffen. Treffen zwischen den beiden grossen Parteien, die zusammen praktisch drei Viertel der Wählerstimmen auf sich vereinigen, gehören zur Praxis der jungen spanischen Demokratie. In Absprache mit dem Regierungschef und dem Oppositionsführer wird dabei in unregelmässigen Abständen abgeklärt, wieweit in den wichtigsten nationalen Problemen ein Konsens möglich ist, weil im Parlament solche grundsätzlichen Fragen nicht geklärt werden können. Borrell hat sich vor kurzem innerhalb seiner eigenen Partei gegen Generalsekretär Almunia als neuer Gegenpart von Aznar durchsetzen müssen, mit der logischen Begründung, dass er als Spitzenkandidat gegen Aznar antreten muss. Die Zusammenkunft in der Moncloa, dem Sitz der Madrider Regierung, dauerte fast drei Stunden und verlief relativ harmonisch, da Aznar glauben darf, dass der Sozialist ohnehin verlieren wird, und Borrell nach einem ersten Misserfolg im Parlament auf die zweite Konfrontation mit Aznar lange warten musste. Für die Sozialisten ist es schwierig, die Grenze zwischen gemeinsamer staatsmännischer Verantwortung und notwendiger Opposition abzustecken.
Ein weitgehendes Einvernehmen herrscht zwischen den beiden Parteien zum Problem des Friedensprozesses im Baskenland. Beide lehnen es ab, die Terroristenorganisation ETA für ihren Waffenstillstand mit politischen Konzessionen zu belohnen. Mit ihrer Betonung der geltenden Verfassung schliessen sie sich gegenseitig aber in einen gewissen Immobilismus ein, obwohl sowohl Aznar als auch Borrell betonten, dass sie keine antinationalistische Front gegen die Baskenparteien bilden wollen. Borrell warf Aznar einmal mehr vor, mit der immer mehr zum Extremismus der ETA-Anhänger neigenden baskischen Regierungspartei PNV zu paktieren, auf deren Stimmen die konservative Minderheitsregierung in Madrid angewiesen ist, damit aber die Initiative zu verlieren droht. Aznar lehnte dagegen eine von Borrell vorgeschlagene Parlamentsdebatte über das Baskenproblem ab, weil er zwar die Sozialisten konsultieren, aber letztlich allein über neue Schritte im Baskenland entscheiden will, falls die ETA die Bedingungen der Regierung erfüllt.
Ein ähnliches Unentschieden besteht beim Kohäsionsfonds der Europäischen Union, den Borrell vor kurzem noch beim Parteifreund Schröder in Bonn verteidigt hat, wofür ihm Aznar dankte. Beide Parteien setzen sich für den seinerzeit vom sozialistischen Ministerpräsidenten González inspirierten Fonds ein, wissen aber, dass Spanien bald einmal Abstriche machen muss, und werfen sich deshalb gegenseitig falsches Taktieren vor.
Aznar schloss einen Bruch mit dem PNV aus, kritisierte vor Borrell aber die Unverantwortlichkeit der baskischen Nationalisten, die dem sogenannten kurdischen Exilparlament im Juli im Regionalparlament von Vitoria Gastrecht gewähren wollen. Die nationalistischen Basken sind der Meinung, dass die Kurden von der türkischen Regierung so unterdrückt würden wie sie selber von der spanischen. Das Aussenministerium in Madrid hat am Mittwoch nochmals erklärt, dass alle legalen Möglichkeiten ausgenützt würden, um die Einreise von Kurden, die mit einer terroristischen Organisation zu tun hätten - mit der Kurdischen Arbeiterpartei (PPK) von Öcalan -, zu verbieten. Der türkische Botschafter in Madrid hat bereits alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das Treffen zu verhindern. Die spanische Regierung fürchtet, dass die guten wirtschaftlichen Beziehungen zur Türkei auf dem Spiel stehen. Spanien ist ein wichtiger Waffenlieferant der Türkei und exportiert zweimal mehr in dieses Land, als es von dort importiert. 



taz 11.2.1999

Baskische Parteien heißen Exilkurden willkommen
Türkei wütend: Kurdisches Exilparlament wird in der baskischen Hauptstadt tagen

Madrid (taz) - Die baskischen Unternehmer fürchten um ihr Türkeigeschäft. Der Grund: Das Präsidium des Autonomieparlaments in Vitoria überläßt im Juli seinen Sitzungsaal dem sogenannten kurdischen Exilparlament. Der Beschluß zugunsten der 1995 von der PKK und ihr nahestehenden Organisationen gegründeten Institution fiel am Dienstag nachmittag mit den Stimmen der im spanischen Norden regierenden Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) und der Baskischen Solidarität (EA). „Ein populärer Akt, ohne an die schwerwiegenden wirtschaftlichen Auswirkungen zu denken“, beschwert sich der Sprecher des baskischen Unternehmerverbandes (Confebask), Enrique Portocarrero. Er befürchtet, daß der Beschluß, mit dem die baskischen Nationalisten ihren Anspruch auf mehr Eigenständigkeit von Spanien unterstreichen wollen, einen türkischen Handelsboykott provozieren könnte.
Die ersten Reaktionen des türkischen Regierungschefs Bülent Ecevit ließen nicht lange auf sich warten: „Das Treffen wird dem kurdischen Terrorismus Flügel verleihen“ und könne „die türkisch-spanische Freundschaft erheblich gefährden“.
Auf einer für Juni geplanten spanischen Industriemesse in der Türkei wird die Hälfte der Aussteller aus dem Baskenland kommen. Die Industrie der Region exportierte im vergangenen Jahr für 135 Millionen Mark Waren in die Türkei, knapp zehn Prozent des gesamtspanischen Warenvolumens Richtung Bosporus.
Einige baskische Unternehmen leben auch direkt vom türkisch-kurdischen Konflikt: Sie verkauften 1988 für 3,3 Millionen Mark Waffen und Munition an die türkische Armee.
Reiner Wandler