Grüne legen Dokumentation vor / Kritik an Lageberichten des
                   Auswärtigen Amtes geübt

                   Von Vera Gaserow

                   BONN, 4. Februar. Abgelehnte kurdische Asylbewerber sind nach ihrer
                   Abschiebung in die Türkei in weitaus stärkerem Maß Repressalien,
                   Mißhandlungen und Folter ausgesetzt als von der früheren Bundesregierung
                   eingeräumt. Darauf haben am Donnerstag die menschenrechtspolitischen
                   Sprecherinnen von Bündnis 90/Die Grünen anhand einer Dokumentation
                   von Einzelfällen hingewiesen.

                   Die alte Bundesregierung stufte in den vergangenen fünf Jahren nur zwei
                   Abschiebungen in die Türkei als "problematisch" ein. Die Dokumentation
                   der Grünen hingegen, die in Zusammenarbeit mit türkischen
                   Menschenrechtsvereinen und Rechtsanwälten erstellt wurde, zeichnet für
                   den gleichen Zeitraum die Schicksale von über 30 abgeschobenen
                   kurdischen Flüchtlingen nach. Allein aus dem vergangenen Jahr sind nach
                   diesen Recherchen sieben Fälle namentlich bekannt, in denen Kurden
                   unmittelbar nach ihrer Abschiebung in der Türkei für mehr als 24 Stunden
                   in Polizeihaft festgehalten wurden, "verschwanden" oder wegen politischer
                   Delikte angeklagt wurden. Mit ihrer Falldokumention wollen die Grünen
                   ihre Forderung nach einem Abschiebestopp für kurdische Flüchtlinge in die
                   Türkei untermauern. Zugleich mahnen sie bei den Innenministern von Bund
                   und Ländern eine Korrektur der bisherigen Praxis von Asylentscheidern
                   und Ausländerbehörden an, die bislang die Gefährdung kurdischer
                   Flüchtlinge unterschätzt hätten.

                   Ein Teil der grünen Mahnung richtet sich dabei an die eigene Adresse: an
                   das vom Parteikollegen Joschka Fischer geführte Auswärtige Amt. Dessen
                   Lageberichte sind wesentliche Grundlage für die meist ablehnenden
                   Entscheidungen des Asylbundesamtes und der Gerichte. Nach den
                   bisherigen Lageberichten gelten Kurden in der Türkei nicht allein aufgrund
                   ihrer Volkszugehörigkeit als verfolgt. Auch politisch aktive Kurden seien im
                   Westen der Türkei vor Verfolgung nicht sicher.

                   Beobachter rechnen damit, daß diese Lagebeurteilung in einem neuen
                   Bericht, an dem das Auswärtige Amt zur Zeit arbeitet, zumindest in Teilen
                   eine Korrektur erfahren wird.

                   Kurde begeht Verzweiflungstat

                   stg BREMEN. Offenbar aus Angst vor der drohenden Abschiebung hat
                   sich ein 22jähriger türkischer Kurde aus dem vierten Stock einer Bremer
                   Klinik gestürzt. Nach Angaben der Polizei erlitt er schwere, aber offenbar
                   nicht lebensgefährliche Verletzungen.

                   Nach Darstellung des "Internationalen Menschenrechtsvereins Bremen"
                   war der junge Mann wegen Aktivitäten für die Kurdenpartei PKK in der
                   Türkei verfolgt worden und mit falschem Paß ausgereist. Dennoch habe
                   das Flüchtlingsbundesamt ihn nicht als asylberechtigt anerkannt. Eine Klage
                   dagegen sei noch anhängig, doch ein Antrag auf vorläufigen
                   Abschiebeschutz bis zur endgültigen Entscheidung sei vom
                   Verwaltungsgericht Oldenburg abgelehnt worden. Als ein Bremer
                   Amtsrichter am Mittwoch einen Abschiebehaftbefehl erließ, brach der
                   Kurde zusammen, wie die Polizei bestätigte. Er wurde in die Klinik
                   gebracht, wo er abends den Freitodversuch unternahm.

                   Der Menschenrechtsverein forderte erneut einen Abschiebestopp für
                   kurdische Flüchtlinge.

fr, 04.02.99