Kurdenführer Öcalan fliegt durch Europa auf
                           der Suche nach Asyl

                           Die Flugüberwachung auf dem ganzen Kontinent
                           ist alarmiert. Irgendwo am Winterhimmel über
                           Europa soll eine kleine Privatmaschine kreisen, mit
                           einem der berüchtigsten Terroristen an Bord:
                           Abdullah Öcalan, kurz Apo genannt, dem Chef
                           der kurdischen Guerilla-Bewegung PKK. Was hat
                           er vor, wo will er landen? Diese Frage treibt auch
                           die deutschen Sicherheitsbehörden um, seit Öcalan
                           am Sonntag vergeblich versuchte, den Flughafen
                           Rotterdam anzufliegen. Denn in der
                           Bundesrepublik hat der schnauzbärtige „Apo“
                           besonders viele Anhänger. Hier könnte er sich –
                           zum Beispiel in einem Strafprozeß –
                           medienwirksam als Verteidiger der Rechte des
                           kurdischen Volkes in Szene setzen.

                           Die deutschen Behörden werden daher die
                           Irrfahrten des listigen Apo genau verfolgen. Nach
                           außen geben sie sich bedeckt: „Wir wissen nicht,
                           wo er ist. Wir wissen nichts von diesem Flugzeug“,
                           sagt ein Sprecher des für Luftraumüberwachung
                           zuständigen Bundesverkehrsministeriums. Andere
                           wissen mehr. Eine Vertreterin des Rotterdamer
                           Flughafens sagte der SZ, Öcalan sei mit einer
                           Maschine vom Typ Lear Jet 55 aus dem
                           weißrussischen Minsk gekommen. Das Flugzeug
                           sei in Estland registriert und habe die Nummer ES
                           – PVV. Nachdem eine Landeerlaubnis verweigert
                           worden sei, habe die Maschine vor Erreichen des
                           holländischen Luftraums abgedreht. Öcalan über
                           Deutschland? Darauf wollte sich die Sprecherin
                           nicht festlegen. Ein Blick auf die Landkarte zeigt
                           jedoch: Der direkte Flug von Weißrußland nach
                           Rotterdam führt über die Bundesrepublik.

                           Gesichert scheint zu sein: Nach der Abfuhr aus
                           Holland flog Öcalan zu einem Kurzaufenthalt nach
                           Athen weiter. Dies meint auch das
                           US-Außenministerium. Wie zahlreiche andere
                           Staaten untersagte jedoch Griechenland dem
                           Guerillero die Einreise – offenbar auf Druck der
                           Vereinigten Staaten. Amerika forderte die
                           möglichen Zufluchtsländer am Dienstag auf, dem
                           PKK-Chef ein Asyl zu verweigern und der Türkei
                           zu helfen, ihn vor Gericht zu bringen. Die Mahnung
                           ist wohl besonders an Griechenland und Rußland
                           gerichtet, wo sich der Kurden-Guerillero nach
                           Angaben aus Geheimdienstkreisen bereits kurz vor
                           seiner Luft-Odyssee aufgehalten haben soll.

                           Allzulange wird Öcalan die Freiheit über den
                           Wolken wohl nicht mehr genießen können. Denn
                           ein Lear Jet 55 ist auf die Dauer kein Refugium. Er
                           hat nur Platz für acht Passagiere und eine maximale
                           Reichweite von gut 4000 Kilometern. Dann muß
                           er wieder aufgetankt werden. Wo das als nächstes
                           sein wird, darüber wird nun gerätselt. Die
                           Meldung, Öcalan sei auf dem Flughafen Malpensa
                           bei Mailand gelandet, erwies sich als falsch.

                           Völlig überraschend wird der Kurden-Führer
                           jedenfalls nirgends niedergehen. Denn nach
                           Auskunft der Regionalstelle München der
                           Deutschen Flugsicherung wird der gesamte
                           europäische Luftraum von zivilen und militärischen
                           Stellen überwacht, die sich gegenseitig informieren.
                           Nähme Öcalan Kurs auf Deutschland, würden ihn
                           die Nachbarländer avisieren. In seinem Fall müßte
                           das Verkehrsministerium entscheiden, ob Öcalan –
                           etwa zum Auftanken – landen darf. Danach müßte
                           der Bundesgrenzschutz den in Deutschland unter
                           anderem wegen Mordes ausgestellten Haftbefehl
                           gegen den PKK-Chef vollstrecken. Doch daran
                           mag man in Bonn gar nicht denken. Stefan Ulrich

SZ, 03.02.99