Stuttgarter Zeitung 29.1.99

Öcalan kämpft um politisches Asyl in Italien
In der Türkei gibt es widersprüchliche Aussagen über den Aufenthaltsort des PKK-Führers

ANKARA/ROM (rtr/hü). Der Chef der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei Abdullah Öcalan kämpft nach seiner Abreise aus Rom weiter um politisches Asyl in Italien.  Unterdessen behauptet der türkische Geheimdienst, seinen Aufenthaltsort zu kennen.
Die regierungsnahe Zeitung ¸¸Hürriyet’’ berichtete am Donnerstag, der türkische Geheimdienst habe Öcalan in einem Land des Nahen Ostens aufgespürt. Ein genauer Aufenthaltsort wurde nicht angegeben. Ein ranghoher Diplomat sei in den Libanon gereist, um die Behörden zu überzeugen, Öcalan keinen Unterschlupf zu bieten.
¸¸Hürriyet’’ berichtete weiter, die Türkei werde Schritte einleiten, um Öcalan vor Gericht zu bringen. Nach dem vergeblichen Versuch, seine Auslieferung aus Italien zu erreichen, werde der Fall nun vorsichtig behandelt. Nur die wichtigsten Minister des Kabinetts und das Militär wüßten, wo sich der Kurdenführer aufhalte. Der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit bezeichnete diese Berichte als ¸¸Gerücht’’.
Wie der Anwalt Augusto Sinagra, der die Interessen der türkischen Regierung im Fall Öcalan vertritt, jetzt enthüllte, wurde das von dem PKK-Chef angestrengte Justizverfahren keineswegs eingestellt. De facto klagt Öcalan gegen den italienischen Staat, wobei sich seine Anwälte auf den Verfassungsartikel 10 berufen, der besagt: Ausländer, die in ihrer Heimat die demokratischen Freiheiten nicht ausüben können, haben ein Anrecht auf Asyl in Italien. Sollte der PKK-Chef bei dem Prozeß Erfolg haben, könnte er bei einer - offenbar von ihm erwogenen - Rückkehr nach Italien auf Asylgewährung pochen. Die türkische Regierung, die den Kurdenführer als Terroristen und Staatsfeind verfolgt, will eine solche Möglichkeit ausschließen und deshalb in den Prozeß um Asylgewährung eingreifen.
Öcalans knapp zweimonatiger Aufenthalt in Italien hatte Spannungen zwischen Ankara und Rom ausgelöst. Am 16.  Januar hatte der PKK-Chef Italien mit unbekanntem Ziel verlassen. Mitte November war er bei der Ankunft aus Moskau auf dem Flughafen von Rom verhaftet worden. Ein italienisches Gericht lehnte die Auslieferung in die Türkei ab, weil ihm dort die Todesstrafe drohte.