junge Welt 29.01.1999

Ankläger hat türkische Militärs im Visier
Staatsanwaltschaft geht von gewaltsamem Tod Andrea Wolfs aus

Die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Todes von Andrea Wolf. Die Deutsche kämpfte in den Reihen der kurdischen Guerilla. Das Kurdistan-Informationszentrum in Köln hatte bereits im November letzten Jahres gemeldet, Andrea Wolf sei am 22. Oktober von der türkischen Armee festgenommen und anschließend hingerichtet worden. Jetzt bestätigte der Sprecher der Staatsanwaltschaft in Frankfurt/Main, Job Tilmann, gegenüber junge Welt »Ermittlungen wegen eines Tötungsdeliktes zum Nachteil der Andrea Wolf«. Der Bundesgerichtshof habe vor einigen Tagen die Staatsanwaltschaft in der Stadt für zuständig erklärt. Tilmann teilte mit: »Es gibt hinreichend Anlaß, davon auszugehen, daß Andrea Wolf eines gewaltsamen Todes gestorben ist.« Darauf, gegen wen sich die Ermittlungen richten, wollte er sich nicht festlegen. »Ermittelt wird gegen Unbekannt.« Die Angelegenheit dürfte dennoch für einigen Wirbel sorgen. Neben anderen kurdischen Medien hatte die kurdische Tageszeitung Özgür Politika von Zeugenaussagen berichtet, die belegen, Andrea Wolf sei kaltblütig erschossen worden.
In dem Fall müßten deutsche Justizbehörden wegen Mordes gegen türkische Armeeangehörige ermitteln. Da sieht wohl auch der zuständige Staatsanwalt Volker Rath einige Probleme auf sich zukommen. Dazu Rath: »Ich kann da nicht so wie Sie einfach herumreisen und ermitteln.« Es läuft alles auf ein Rechtshilfeersuchen an die Türkei hinaus. Doch amtliche türkische Stellen geben vor, nichts über den Verbleib von Andrea Wolf zu wissen. Das ergaben zumindest Anfragen des Auswärtigen Amtes in Bonn und der Deutschen Botschaft in Ankara. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes bestätigt: »Uns liegt eine offizielle Stellungnahme der türkischen Regierung vor. Die lautet: Andrea Wolf sei niemals festgenommen worden.« Der Sprecher weiter: Alles andere seien nur Veröffentlichungen ohne Beweiswert. Das Kurdistan-Informationzentrum hatte verbreitet, die Guerilla sei später zum Ort des Verbrechens zurückgekehrt und habe den Leichnam von Andrea Wolf begraben. Doch das Auswärtige Amt will erst wieder tätig werden, »wenn neue faktische Umstände bekannt werden«.
Die stehen möglicherweise schon vor der Tür. Nach unbestätigten kurdischen Angaben habe die Guerilla den Funkverkehr der türkischen Armee am Todestag von Andrea Wolf aufgezeichnet. Aus diesem ergäben sich konkrete Hinweise auf den Mord. Bleibt abzuwarten, wie eifrig die deutschen Justizbehörden ermitteln werden. Hilfe von seiten türkischer Behörden ist dabei kaum zu erwarten. Staatlich gelenkte Morde »unbekannter Täter« an Oppositionellen sind in der Türkei alltäglich.
Jörg Hilbert