Italienische Presse: PKK-Chef in Belorußland. Kritik an Rom

      PKK-Chef Abdullah Öcalan soll sich seit Samstag abend in der belorussischen Hauptstadt Minsk aufhalten. Das
      vermeldeten zumindest die italienischen Zeitungen. In Moskau soll er nur zwischengelandet sein. Die Reise ins Endziel
      Minsk sei gemeinsam vom Palazzo Chigi, also dem Sitz des italienischen Ministerpräsidenten, und den PKK-Leuten
      vorbereitet worden. Eine offizielle Bestätigung, daß Öcalan sich tatsächlich in Belarus aufhält, gibt es nicht. In der Zeitung
      La Repubblica wird der Moskauer Kurdenvertreter Ibragin Aljev zitiert: »Ja, es wurden von den baltischen Staaten
      gesprochen, von Tadshikistan, von Rußland selbst. Aber das sind alles nur Gerüchte. Morgen oder übermorgen wird
      alles klar sein.« Also weiterhin Stillschweigen, auch wenn Aljev eingesteht, daß die kurdische Gemeinde in der russischen
      Hauptstadt froh wäre, wenn der PKK-Chef in Moskau bleiben könnte.

      Vor seiner Abreise am Sonnabend hatte PKK-Chef Öcalan zwei Abschiedsbriefe in türkisch aufgesetzt, die von der
      italienischen Presse wiedergegeben wurden. Der längere richtet sich an den italienischen Ministerpräsidenten Massimo
      D'Alema, der andere an seine kurdischen Mitstreiter und an die Anwälte Luigi Saraceni und Giuliano Pisapia. In den
      Briefen drückt Abdullah Öcalan seine Enttäuschung über die Entwicklung seines Aufenthalts in Italien aus. La Repubblica
      hat die Erklärung Öcalans an sein Volk übersetzt und abgedruckt: »Ich bin hierher gekommen, um einen wichtigen
      politischen Schritt zu unternehmen. Ich war bereit, mein Leben, meine Person, meine Freiheit für den Frieden in
      Kurdistan ins Spiel zu bringen. Aber leider mußte ich feststellen, daß nach einer äußerst positiven Haltung seitens des
      Parlaments und der italienischen Regierung für eine internationale Friedenskonferenz Rückschritte gemacht wurden. Für
      mich und für die Zukunft des kurdischen Volkes ist es wichtig, daß diese Rückschritte nicht den Drohungen der
      türkischen Regierung geschuldet sind, sondern einer objektiven Situation im Innern Italiens. Ich war davon überzeugt,
      daß die einseitige Waffenpause hätte aufrecht erhalten werden können, aber ich befürchte sehr, daß nun keine anderen
      Alternativen existieren als die Wiederaufnahme des Krieges.« Aus dem Brief an seine beiden italienischen Anwälte geht
      hervor, daß der PKK-Chef seinen Asylantrag in Italien weiter aufrechterhalten und vorantreiben will; außerdem wolle er
      weiterhin in Kontakt mit der italienischen Regierung bleiben.

      Die Enttäuschung unter den Kurden in Italien ist verständlicherweise groß. Die Nationale Kurdische Befreiungsfront
      (ERNK) hat eine Erklärung verbreitet, in der Italien zwar Respekt gezollt wird für die »positive Anstrengung« und für die
      »übernommene Verantwortung« bei der Suche nach einer »politischen Lösung des Kurdenproblems«, doch sei Italien
      nicht bis zum Schluß gegangen und habe somit »eine historische Gelegenheit für eine politische Lösung des
      Kurdenproblems« verpaßt. Härter fällt die Kritik gegenüber Frankreich, Großbritannien, Deutschland und den USA aus,
      die »direkten und indirekten Druck« ausgeübt hätten, »um zu erreichen, daß der Präsident Apo Rom verläßt«.

      Cyrus Salimi-Asl, Neapel

junge Welt, 20.01.99