Beisetzung im Ausnahmezustand
      Türkische Armee erwies kurdischem Sänger letzte Ehre - auf ihre Art

      Am 1. November letzten Jahres wollte der kurdische Sänger Barzan Öztürk im Gefängnis in Stuttgart-Stammheim mit
      einer Selbstverbrennung die Forderung Abdullah Öcalans nach politischem Asyl in Rom unterstützen. Dabei erlitt er
      schwere Verletzungen, denen er am 4. Januar erlag. Um die Beisetzung seiner Leiche in seinem kurdischen Heimatdorf
      zu gewährleisten, wurde sein Sarg von einer Delegation des Kölner Kurdistan Informationszentrums (KIZ) begleitet.
      »Daß das notwendig war, wurde gleich nach der Landung auf dem Istanbuler Flughafen klar. Wir wurden von einem
      riesigen Polizeiaufgebot in Empfang genommen«, berichtet Delegationsmitglied Hamide Scheer. »Familienmitglieder und
      Freunde waren gekommen, um den Sarg in Empfang zu nehmen. Noch bevor das Flugzeug gelandet war, wurden 17
      Personen auf dem Flughafengelände verhaftet. Nachdem wir angekommen waren, drohten die Militärs den wartenden
      Familienangehörigen, dem Leichnam in den Kopf zu schießen, wenn sie das Gebäude nicht verlassen.«

      Die Delegation reiste weiter nach Van, wo sie von der Gendarmerie bereits erwartet wurde. »In einem Autokonvoi von
      Verwandten und Bekannten sollte der Tote in sein Heimatdorf, knapp 200 Kilometer von Van entfernt, begleitet werden.
      Unsere Delegation teilte sich auf zwei Kleinbusse auf. Mit dem ersten wurde der Sarg transportiert. Gleich nachdem wir
      Van verlassen hatten, kam die erste Militärkontrolle. Nur die beiden Wagen, in denen die Delegationsmitglieder saßen,
      wurden duchgelassen, die anderen wurden zurückgeschickt. Insgesamt wurden an dieser Sperre an diesem und dem
      folgenden Tag 47 Personen verhaftet, die zu dem Begräbnis Barzan Öztürks wollten.«

      »Auf dem Weg kamen noch mehrere Kontrollen«, so Hamide Scheer, »aber was dann im Dorf passierte, hätten wir
      trotzdem nicht erwartet. Auf der mehrere hundert Meter langen Zufahrtsstraße zum Dorf bildete das Militär ein Spalier.
      Soldat an Soldat. Überall standen Panzer.« Obwohl die Militärs sie daran zu hindern versuchten, gelang es den
      Verwandten, den Sarg ins Haus zu tragen. In der Angst, daß die türkische Polizei ihr auch noch den toten Sohn
      wegnehme, drängte die Mutter von Barzan Öztürk auf eine schnelle Beerdigung.

      Seine Familie sei dem türkischen Staat schon lange ein Dorn im Auge, so der Bruder des Verstorbenen, Azad Öztürk,
      gegenüber junge Welt. »Es ist bekannt, daß sich unsere Vorfahren seit 200 Jahren am kurdischen Widerstand beteiligen.
      So auch 1930 bei dem Aufstand in Agri. Damals wurden mehrere Familienmitglieder aufgehängt. Unsere Großeltern und
      Eltern haben den Widerstand weitergeführt. Und als 1984 die Guerilla gegründet wurde, haben sich gleich einige
      Angehörige angeschlossen. Deswegen gibt es verstärkte Repressionen gegen uns. 14 Familienmitglieder sind im Kampf
      gefallen und 15 Angehörige zum Teil seit mehreren Jahren inhaftiert. Vier Onkel von mir mußten wegen der Verfolgung
      ins Exil gehen und sind dort vor Gram gestorben. Was heute hier passiert, ist psychologische Kriegsführung.«

      Er selbst habe einen Bruder seit fünf Jahren nicht gesehen, erzählt Azad Öztürk. »Und während unter der Aufsicht und
      dem Kommando des Militärs die Beerdigung stattfand, saß ich in dem Kleinbus an der Militärsperre hundert Kilometer
      entfernt. Ich habe den Kommandanten gebeten, uns durchzulassen, da wir auf dem Weg zu einer Beerdigung seien. Er
      hat mich gefragt: >Seid ihr Verwandte von dem Terroristen?>Ja, ich bin der Bruder.>Dann sei ganz still, sonst erschieße
      ich dich auch noch.< So konnte ich mich nicht einmal vom meinem toten Bruder verabschieden.«

      Barzans Mutter Cemile Öztürk hatte ihren Sohn sechs Jahre nicht gesehen. »Ich weiß überhaupt nicht, was ich sagen soll.
      Wir haben hier schon einige Militäreinsätze erlebt. Bei Hochzeiten, zum Beispiel, ist es wiederholt vorgekommen, daß
      Soldaten kamen und die Gäste beschimpften, Betten rausschmissen und drohten, alle zu erschießen. Aber das heute war
      das Grausamste, was sie uns antun konnten. Die Soldaten sind ins unser Haus gestürmt und haben schier getanzt vor
      Freude darüber, daß mein Sohn gefallen ist. Sie haben über die Toten unserer Familie schlecht geredet, die Frauen
      beleidigt und ihnen angedroht, sie alle vollständig auszuziehen und zu vergewaltigen.«

      Ehe das Auto mit dem Sarg und den ausländischen Gästen bei der Familie eintraf, hatten die Militärs große Kanister mit
      Benzin in die Mitte des Dorfes gestellt und gedroht, alles zu verbrennen. »Anscheinend haben sie vor einem toten Guerilla
      mehr Angst als vor einem lebenden«, mutmaßt Hamide Scheer. »Mit diesem Militäraufgebot wollte das Regime Stärke
      präsentieren. Aber für mich ist das eher ein Zeichen von Schwäche. Damit haben sie doch nur ihre Angst gezeigt.«

      Birgit Gärtner