Stuttgarter Zeitung 15.1.99

Kein leichter Abschied für Polizeichef Haas
Nachfolge weiterhin offen - Erste Anzeigen gegen Kurden

Wein und Sekt - aber natürlich auch alkoholfreie Getränke - hat es gestern bei der Verabschiedung von Polizeipräsident Volker Haas gegeben. Weiterhin offen ist die Frage nach seinem Nachfolger. Innenminister Schäuble äußerte sich dazu auch gestern nicht.

Von Eberhard Renz
Thomas Schäuble war Gast beim Neujahrsempfang der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Deren Landesvorsitzender Rüdiger May ließ dem Innenminister mit seiner Begrüßungsrede denn auch keine Chance, nicht über den ¸¸Fall Haas’’ zu reden. May, der Polizeiführer mit Zivilcourage für unabdingbar hält, zeigte deutlich die Gefahren für die Polizei auf, wenn ¸¸so etwas Schule machen sollte’’. Für May wurde der Polizeiführer Volker Haas mit seiner Versetzung ¸¸mundtot’’ gemacht. Doch Innenminister Schäuble ließ sich nicht locken: er nannte den Nachfolger des 61jährigen Juristen gestern nicht.
Gerüchte, nach denen Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel bei der Entscheidung seine Stimme in die Waagschale werfen würde, wurden gestern im Staatsministerium weder bestätigt noch dementiert.  Kanzleisprecher Markus Bleistein sagte lediglich, daß ¸¸Personalfragen sicher nicht öffentlich’’ diskutiert würden. Er wiederholte, daß es zwischen dem Innenminister und dem Ministerpräsidenten aber auf jeden Fall einen informellen Austausch geben werde.
Mittlerweile ist gegen den Versammlungsleiter der Kurdenkundgebung in Stammheim am Dreikönigstag Anzeige erstattet worden. Weitere 30 bis 40 Strafanträge, so die Pressestelle der Polizei, seien in Bearbeitung. Die Betroffenen werden wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetzes angezeigt. Bei der Kundgebung in Stammheim wurden Fahnen der PKK geschwenkt, Bilder von Kurdenführer Abdullah Öcalan gezeigt und verbotene politische Parolen skandiert.
Volker Haas verabschiedete sich am Nachmittag von jedem der 350 Gäste auf dem Empfang per Handschlag. Arbeiter, Angestellte und Beamte hatten sich dort getroffen, um ihrem Präsidenten ¸¸Adieu’’ zu sagen. Haas, der knapp zwölf Jahre im Amt war, bedankte sich für die von Anfang an vertrauensvolle Zusammenarbeit. ¸¸Ich habe an diesem Amt gehangen’’, sagte Haas. Er werde sich aber auch in seiner neuen Aufgabe voll einbringen, versprach er.
Die Stuttgarter Jusos forderten derweil den sofortigen Rücktritt von Oberbürgermeister Wolfgang Schuster und Innenminister Thomas Schäuble. Absolut fragwürdig sei Schusters Vergleich mit dem Märtyrertum des Nationalsozialismus. Schäuble habe sich dem Druck ¸¸von rechts’’ gebeugt, indem er Haas entlassen habe. Dabei solle man aber nicht vergessen, daß Haas Schäuble und Schuster schon lange ein Dorn im Auge gewesen sei.
Einen Rückschritt im Verhältnis zur Stuttgarter Polizei befürchtet die Initiativgruppe Homosexualität Stuttgart e.V..  Während der Amtszeit von Volker Haas seien viele positive Veränderungen eingeleitet worden, heißt es in einer Erklärung.  Polizeipräsident Haas habe sich um die Belange der Schwulen in Stuttgart verdient gemacht.
Der Arbeitskreis Asyl fürchtet nach der Strafversetzung von Haas ein Abrücken von der liberalen Deeskalationslinie. ¸¸Wir fragen, wie sollen junge Menschen zur Zivilcourage erzogen werden, wenn sie erleben müssen, wie ein alter Haas(e) mit 61 Jahren versetzt wird, als absolviere er gerade seine Probezeit’’, teilte AK Asyl-Sprecher Werner Baumgarten mit.