Stuttgarter Zeitung 13.1.99

¸¸Keine kurdische Frage, sondern ein Terrorproblem’’
Die Politiker in Ankara tun alles, um der prokurdischen Hadep-Partei bei ihrer Arbeit Steine in den Weg zu legen

Nach der Verhaftung des PKK-Chefs Öcalan in Italien legt die türkische Regierung gegenüber den Kurden eine härtere Gangart an den Tag. Kurdische Intellektuelle setzen jedoch auf den Dialog mit Ankara.

Von Astrid Frefel, Istanbul
¸¸80 Verhaftete bei der Hadep in den Städten Kagithane, Bahcelievler und Tekirdag.’’ Zur Zeit vergeht kein Tag ohne Meldungen wie diese. ¸¸Rund 8000 Mitglieder der prokurdischen Hadep-Partei sind in den vergangenen Wochen verhaftet worden, etwa 5000 sind noch im Gefängnis; viele werden gar nicht angeklagt’’, sagt Veli Haydar Gülec. Der junge Verleger vertritt den Istanbuler Parteivorsitzenden.  Dieser ist gegenwärtig in Haft wie Parteichef Murat Bozlak und fast alle andern lokalen Hadep-Führungsmitglieder in der ganzen Türkei.
Nach der Festnahme von PKK-Chef Abdullah Öcalan in Rom haben die höchsten Stellen im Land eine neue Gangart auch gegen die nichtmilitante Hadep eingeschlagen.  Staatspräsident Süleyman Demirel erklärte, es gebe keine kurdische Frage, sondern nur ein Terrorproblem, und das Militär ließ verlauten, Unterricht in der Muttersprache und kurdische Fernsehsendungen könnten nicht gestattet werden, weil sie den Separatismus begünstigen würden.
Die fast panikartigen Reaktionen im staatlichen Machtzentrum wurde von regierungseigenen Meinungsumfragen ausgelöst.  Diese belegen, daß die Hadep - vorausgesetzt sie könnte unter normalen Bedingungen arbeiten - im kurdischen Südosten mit über 60 Prozent der Stimmen einen eindrücklichen Wahlsieg feiern könnte und auch landesweit einen Stimmenanteil von acht Prozent hat.
Mit einem solchen Rückhalt in der Bevölkerung käme die Regierung unter Zugzwang und könnte die Anliegen der kurdischen Minderheit nicht länger abschmettern. Im Moment wird deshalb alles unternommen, um einen Hadep-Höhenflug zu verhindern. Die Partei wird in die Nähe der PKK gerückt und als ¸¸terroristenfreundlich’’ abgestempelt. Damit wird es auch für andere Gruppierungen unmöglich, Beziehungen zur Hadep aufrechtzuerhalten oder sie zu unterstützen.
¸¸Wir werden möglichst nur Kandidaten aufstellen, die keine Berührungspunkte mit der PKK haben, denn 90 Prozent unserer Bevölkerung will eine friedliche Lösung im Rahmen der bestehenden Türkei und ohne die PKK’’, skizziert ein kurdischer Geschäftsmann die Strategie. Die Anerkennung der kurdischen Identität; die Freiheit aller Ausdrucksformen; die Möglichkeit, die Sprache zu lernen, sowie die Abschaffung des Ausnahmezustandes, das sind die allgemein anerkannten Ziele.
Immer wieder läuft die Hadep Gefahr, wie mehrere ihrer Vorgängerparteien geschlossen zu werden. Repressionen sind für kurdische Politiker aber nichts Neues. Mehrere Dutzend haben ihr Engagement mit dem Leben bezahlt, Tausende mit Gefängnis und Folter. ¸¸Aber deshalb werden wird nicht schweigen’’, betont Gülec.
Zu Wort gemeldet haben sich nun 200 kurdische Intellektuelle, Geschäftsleute und Mitglieder anderer politischer Gruppierungen. Vor wenigen Tagen haben sie einen Appell unterzeichnet, indem sie jede Gewalt verurteilen und zu einem Dialog aufrufen. Sie warnen auch eindringlich vor der Gefahr, die die gegenwärtig von türkischer Seite geschürte nationalistische Welle birgt. Diese könnte Feindschaft zwischen zwei Völkern säen, die seit Jahrhunderten zusammenleben, heißt es in dem Aufruf.
Es gab jedoch kein Echo auf die Initiative dieser Gruppe.  ¸¸Wer immer mit uns sympathisiert, bekommt den Druck der Regierung zu spüren’’, erklärte Serafettin Elci das Schweigen.  In diesen Wochen werde jede kurdische Aktivität unterdrückt und sogar Volksmusikkonzerte verboten, weil sie die Armee als politisch einstufe. Elci ist einer der prominentesten der 200 Unterzeichner und Vorsitzender der kleinen prokurdischen DPK. Der Advokat aus Cizre gehört zu den moderaten kurdischen Politikern, der der PKK vorwirft, sie strebe ein Monopol an.
¸¸Erst wenn sich die Türkei von der Angst befreien kann, sie werde geteilt, wird eine Lösung der Kurdenfrage möglich’’, sagt Elci. Im Moment sei er pessimistisch und sehe keinen Ansatz für einen Dialog, erklärt Gülec. Die Türkei sei immer noch ein Land, wo das Recht des Stärkeren gelte. ¸¸Ich bin stark, ich habe eine Armee, ich kann ausschalten, wer mir nicht paßt’’, das sei immer noch das Verständnis in diesem Land.