Frankfurter Rundschau 13.1.99

Flucht-Alternative bestritten
Türkische Organisation fordert Asylrecht für verfolgte Kurden

Von Canan Topçu
FRANKFURT A. M., 12. Januar. Kritik an der deutschen Asylpolitik hat die türkische Rechtsforschungsstiftung Tohav geübt. Die regierungsunabhängige Organisation, die sich mit den rechtlichen und psychosozialen Problemen kurdischer Flüchtlinge befaßt, machte darauf aufmerksam, daß in die Türkei abgeschobene kurdische Asylbewerber der Verfolgung und Folter ausgesetzt sind.
Selim Okcuoglu vom Tohav forderte die Bundesregierung auf, ihre Asylpolitik „unter die Lupe zu nehmen“ und auf eine Demokratisierung der Türkei zu dringen. Der Istanbuler Rechtsanwalt wies in Frankfurt darauf hin, daß das Argument des türkischen Staates, die kurdische Bevölkerung sei im Westen des Landes nicht der Verfolgung ausgesetzt, keineswegs zutreffe. „Die Menschen nehmen es in Kauf, in überfüllten Schiffen die Flucht zu ergreifen - so sehr fühlen sie sich bedroht.“ Die Türkei müsse endlich zum „Kurdenproblem“ stehen. Dies sei der erste Schritt zur friedlichen Lösung des 15 Jahre andauernden Krieges - und bedeute nicht, dem Seperatismus den Weg zu bahnen, erklärte Okcuoglu.
Die Stiftung, die unter anderem bei Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof Rechtsbeistand gibt, untersucht in einem Forschungsprojekt die Auswirkungen der Flucht innerhalb der Türkei. „Die Folgen sind verheerend“, betonte Tohav-Mitarbeiter Mustafa Gündogdu. Der Soziologe wies darauf hin, daß etwa zwei Millionen Kurden in den vergangenen 15 Jahren ihre Dörfer im Osten verlassen mußten und sich am Rande der Großstädte angesiedelt hätten. „Der Staat, der die Dörfer räumte, bot den Menschen keine adäquaten Alternativen.“ Die mangelnde Infrastruktur und medizinische Versorgung in den Slums sowie der „Kulturschock“ habe massive physische und psychische Auswirkungen.
Nach Tohav-Angaben möchten viele Vertriebene wieder in ihre Dörfer zurück. Dies müsse ihnen der türkische Staat ermöglichen, außerdem finanzielle Entschädigungen leisten und sich offiziell bei den kurdischen Flüchtlingen entschuldigen.