Stuttgarter Nachrichten 12.1.99

Ankaras Veteran springt als Notnagel ein
Bülent Ecevit wird die Türkei bis zur Neuwahl in drei Monaten regieren

Ankara - Der Mann mit dem markanten Schnurrbart gehört zum Urgestein der türkischen Politik. Bülent Ecevit hat linke Ideen, das Erbe des Staatsgründers Atatürk und einen strammen Nationalismus zu einem eigenartigen Gemisch verbunden.
Von unserem Korrespondenten

FRANK HERRMANN, z. Zt. Ankara
Bekannt wurde er als der Premier, der 1974 die Landung türkischer Truppen auf Zypern befahl. Ein Vierteljahrhundert später steht der Veteran noch einmal an der Spitze des Kabinetts. Der 73jährige leitet eine Ministerriege auf Abruf. Er soll das Land bis zur vorgezogenen Parlamentswahl im April regieren. Als Vorsitzender der relativ kleinen Demokratischen Linkspartei war er der typische Kompromißkandidat.
Einerseits wollte das mächtige Militär die islamistische Tugendpartei als stärkste Kraft im Parlament von der Regierung ausschließen. Andererseits konnten die beiden Konservativen Tansu Ciller und Mesut Yilmaz ihre schwerwiegenden Differenzen nicht ausbügeln. Da blieb als Notnagel Bülent Ecevit.
Doch auch er schaffte es erst im zweiten Anlauf. Ende November war sein Vorgänger Yilmaz über Korruptionsvorwürfe gestolpert. Ecevit bekam den Auftrag zur Regierungsbildung, doch drei Wochen später warf er entnervt das Handtuch. Nach einem gescheiterten Versuch des Konservativen Yalim Erez bewarb sich der Altpolitiker erneut. Diesmal mit Erfolg. Cillers Partei des Rechten Weges gab ihren Widerstand gegen den Rückkehrer urplötzlich auf.  Offenbar hatten die Generäle, die Ecevit unter allen Kandidaten am meisten vertrauen, der ehrgeizigen wie skandalumwobenen Wirtschaftsprofessorin die Leviten gelesen.
Große Reformen sind von dem Neuen nicht zu erwarten, dazu sind die drei Monate bis zum nächsten Urnengang viel zu kurz.  Innenpolitisch steht Ecevit für eine strikte Trennung von Staat und Religion, wie sie einst Atatürk begründet hatte. Im Unterschied zu den Konservativen plädiert er für einen starke Regulierung der Wirtschaft. In der Kurdenfrage gibt er sich unnachgiebig. Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nennt er eine ¸¸separatistische Terrororganisation’’, mit der man nicht verhandeln dürfe.
In der Außenpolitik gilt der Regierungschef als Verfechter eines harten Kurses gegenüber Griechenland und Zypern.  Auch im Verhältnis zur Europäischen Union gibt er sich kompromißlos. Daß die EU den verweigerten Beitritt Ankaras mit Menschenrechten und dem Kurdenproblem begründet, hält der Linksnationalist für ein vorgeschobenes Argument.
In den turbulenten 70er Jahren, als sich Linke und Rechte erbitterte Straßenschlachten lieferten, war Ecevit dreimal Premierminister. Als das Militär 1980 putschte, wurde er verhaftet. Bald darauf rehabilitiert, gründete er 1985 mit seiner Frau Rahsan die Demokratische Linkspartei. Bis November war er im Kabinett Yilmaz stellvertretender Ministerpräsident