junge Welt 12.01.1999

      Rangelei mit Splittergruppen?
      Pressesalat von der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration

      Je näher Zeitungen der rot-grünen Regierung stehen, desto mehr neigen sie dazu, Tatsachen zu unterschlagen, die den
      Neuen unangenehm sein müssen. Eine glänzende Bestätigung für diese These lieferten die Blätter am Montag.

      Über 100 000 Teilnehmer am Sonntag auf der größten regelmäßigen Demonstration in Deutschland? Der Süddeutschen
      Zeitung erschien dafür nur eine kleine Agenturmeldung auf der Seite 2 angebracht, die den Zug nach
      Berlin-Friedrichsfelde zu einer reinen »PDS- Kundgebung« stilisierte. Gar erst auf Seite 4 ging die Frankfurter
      Rundschau auf das Gedenken für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg im Jahr eins der Schröderschen Kanzlerschaft
      ein. Ein Bericht des Korrespondenten Karl-Heinz Baum im unteren Teil - Titel: »Ein älterer Herr mit erhobener Faust
      singt das Lied der >Brigade 11<« - suggeriert, daß in Berlin eine Art Seniorentreff stattgefunden hat. Die Berliner
      Zeitung, die immerhin am Ort des Geschehens erscheint, konnte sich nicht durchringen, auf ihrer Seite 1 ein Foto vom
      größten Ereignis des Wochenendes in der Hauptstadt zu bringen. Eine kleine Nachricht verweist auf die dritte Seite des
      Blattes, wo Brigitte Fehrle die von ihr selbst gestellte Frage »Warum kommen immer mehr Leute?« nicht beantworten
      kann.

      Weit aufmerksamer sind da Blätter aus dem Hause Springer: Sowohl die Berliner Morgenpost als auch die überregionale
      Zeitung Die Welt machten ihre ersten Seiten mit unübersehbaren Bild-Berichten auf und legten im Innenteil nach. Dabei
      gibt André Mielke auf Seite 3 der Morgenpost eine Beobachtung preis, die außer ihm nur Lothar Heinke vom
      Holtzbrinckschen Tagesspiegel (Bericht auf Seite 3) gemacht zu haben scheint: Nach Friedrichsfelde gingen nicht nur
      Anhänger der PDS, sondern auch junge Leute vom Sozialistischen Jugendverband »Die Falken« und SPD-Mitglieder.
      Heinke befand sogar: »Der 80. Jahrestag der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht hat am Sonntag
      soviel Menschen wie noch nie auf die Beine gebracht.«

      Recht uniform in Bewertung und Falschinformation präsentierten sich die Blätter verschiedener Couleur allerdings in
      einem Punkt: Der Berichterstattung über den Polizeieinsatz gegen den Demonstrationszug, der vom früheren Berliner
      Leninplatz seinen Ausgang genommen hatte. Bei der Demonstration, zu der ein Bündnis verschiedener Organisationen
      und Personen aufgerufen hatte, handelte es sich angeblich um einen Zug »linker Splittergruppen«, so jedenfalls unisono
      die Frankfurter Rundschau (Karl-Heinz Baum), die Süddeutsche Zeitung (AFP), Die Welt (Eigenbericht), die Berliner
      Morgenpost (Eigenbericht). Daß die Organisatoren selbst zu einem friedlichen Verlauf aufgerufen hatten, war nirgendwo
      zu lesen. Dafür wurde reportiert, es sei zu »Auseinandersetzungen« zwischen der Polizei und Demonstranten gekommen.
      So wußten es die Berliner Zeitung (Eigenbericht), die Berliner Morgenpost (Eigenbericht), während die Süddeutsche
      Zeitung in ihrer AFP- Meldung von »Rangeleien« sprach. Brigitte Fehrle von der Berliner Zeitung merkte noch an, das
      »Aufgebot gut gerüsteter Polizei« sei »groß« gewesen und die Demonstration sei »häufig angehalten« worden. Mehr an
      Beschreibung des ebenso provokativen wie zu Teilen brutalen Einsatzes der Polizei, der nun das Berliner
      Abgeordnetenhaus beschäftigen wird, war aber auch dort nicht drin.

      Fotos, die das Vorgehen gegen Andersdenkende hätten dokumentieren können, druckte keines der bürgerlichen Blätter.
      Zu peinlich angesichts des pflichtgemäßen Rückgriffes aller auf die Verhaftung von DDR-Oppositionellen bei der
      Liebknecht- Luxemburg 1988?

      Wie solch ein Fall gemeinschaftlicher Unterschlagung zustande kommt, müßte schon mal geklärt werden. Schreiben die
      Eigentümer als Meinungsmonopolisten den Chefredaktionen vor, was wegzulassen ist? Bei der vereinten Auflagenmacht
      dieser Blätter wäre es Anstiftung zur Sabotage der grundgesetzlich verbrieften Informationsfreiheit, die bekanntlich zu den
      Vorzügen des westlichen Wertesystems zählen soll.

      Knut Voss