junge Welt  12.01.1999

      »So, Jungs, jetzt noch mal durch!«
      Senat schweigt zu Polizeiprügel gegen Demonstranten in Berlin

      Provozierende und prügelnde Polizisten bei der Liebknecht- Luxemburg-Demonstration am Sonntag in der Haupstadt -
      das sollte am gestrigen Montag im Innenausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses behandelt werden. Der CDU gelang
      es jedoch, die Debatte um die Vorgänge mit Geschäftsordnungstricks zu verhindern, berichtete das Ausschußmitglied
      Freke Over (PDS) gegenüber junge Welt. Erst in 14 Tagen, zur nächsten Sitzung des Ausschusses, werde das Thema
      wieder zur Sprache kommen.

      Over selbst war Augenzeuge der polizeilichen Gewaltaktionen. In einer Presseerklärung berichtete er: »Bei einem von mir
      selbst beobachteten Vorfall, Höhe U-Bahnhof Magdalenenstraße, rief ein Gruppenführer: >So, Jungs, jetzt noch mal
      durch!<, worauf sich etwa zehn Beamte durch die Demonstration prügelten.« Nur die Besonnenheit vieler
      Demonstrantinnen und Demonstranten habe eine weitere Eskalation verhindert.

      Paul Schnittker, Mitglied der DKP Ruhr-Westfalen und verantwortlich für die Busse aus der Region, mit denen die
      Demonstranten von auswärts anreisten, berichtete junge Welt, daß sich ein hartes Vorgehen gegen die erklärtermaßen
      friedliche Demonstration bereits bei der Ankunft angedeutet hätte. Anders als in den Jahren zuvor habe es hier die ersten
      Personalkontrollen und Leibesvisitationen gegeben. »Bei der Aufstellung auf dem früheren Leninplatz kam es dann zu den
      ersten massiven Eingriffen der Polizei.«

      Besonders ausländische Gruppen seien das Ziel der Provokationen gewesen, die Beamten hätten wahllos Menschen aus
      der Menge gezogen, ohne jegliche Begründung. Während der Kundgebung war der Block der Autonomen das
      Angriffsziel der Polizisten, die Einsatzkräfte sind zum Teil sehr brutal in die Menge gestürmt, in voller Montur mit
      Schlagstock und Brustpanzern. Angeblich hätten einige Teilnehmer gegen das Vermummungsverbot verstoßen, so die
      Begründung für den Knüppeleinsatz. Als auffallend bezeichnete Schnittker, daß sich die Beamten später zurückgehalten
      haben, vom Petersburger Platz bis zur Gudrunstraße ließen sie die Menschen friedlich ziehen. Dort allerdings legten die
      Polizisten wieder los und nahmen sich unter anderem den DKP-Block vor, schlugen wahllos auf die Demonstranten ein und
      beschlagnahmten eine DKP-Fahne. Rücksicht auf ältere Menschen und Kinder wurde nicht genommen.

      Die Gudrunstraße ist bei der Polizei für solche Einsätze beliebt. Auch im letzten Jahr griffen Einheiten an der engsten
      Stelle der Straße immer wieder in die Demonstration ein. Eine angeblich offen gezeigte PKK-Fahne wurde damals zum
      Anlaß genommen. Berlins neuer Innensenator Eckart Werthebach hatte bereits einige Tage zuvor angekündigt, gegen das
      Zeigen von »Symbolen verfassungsfeindlicher Organisationen« und »Verstößen gegen das Vermummungsverbot«
      konsequent einzuschreiten. Konkret nannte er in diesem Zusammenhang Bilder und Fahnen mit dem Konterfei des
      PKK-Vorsitzenden Öcalan.

      Weder Vertreter der Polizei noch des Innensenats waren am Montag gegenüber jW zu einer Stellungnahme zu den von
      vielen Augenzeugen und Opfern der Polizeiangriffe geschilderten Übergriffen bereit.

      Michael Friedrich/Foto: Marko Priske