Hamburger Abendblatt 11.01.99

Türkei gibt leise zu: Wir wollen Öcalan nicht 

Rom- Die Türkei will nach einem Bericht der italienischen Zeitung „La Repubblica“ den in Rom festgesetzten kurdischen Separatistenführer Abdullah Öcalan nicht mehr haben. „Es wäre zu gefährlich, ihn auf unserem Territorium zu haben“, zitierte die Zeitung einen Gewährsmann des türkischen Außenministeriums. Formal, so die Quelle weiter, gebe es aber keine solche Entscheidung, auch werde dies Rom niemals in dieser Form mitgeteilt. Ankara hat offiziell einen Auslieferungsantrag gestellt.
„Es wäre besser, wenn Öcalan verbannt oder sich zurückziehen würde, vielleicht nach Nordkorea“, heißt es. Auch ein türkischer Militärchef wird zitiert: „Wir haben gar nicht soviel Lust, Öcalan hier zu haben.“ Denn in der Türkei würde der 49jährige entweder hingerichtet, was zu weltweiten Protesten, „einem Desaster“, führen könnte. „Oder wir inhaftieren ihn und machen ihn so zu einem lebenden Märtyrer.“
Der Chef der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK war am 12. November auf dem Flughafen in Rom festgenommen worden. Er steht in einem Haus in Ostia unter Bewachung.  Öcalan verlangt für eine einvernehmliche Abschiebung Garantien zu seiner Sicherheit. Er fürchtet Anschläge und will auf keinen Fall an Ankara ausgeliefert werden, wo ihm die Todesstrafe droht. Die Türkei macht ihn verantwortlich für 30 000 Tote in 15 Jahren Terrorismus gegen Ankara. Deutschland hat trotz Haftbefehls wegen Mordes aus Sicherheitsbedenken auf eine Überstellung verzichtet.
Unterdessen herrscht Unklarheit darüber, ob dem Kurdenführer in Italien der Prozeß gemacht werden kann. „Wahrscheinlich ja, aber er würde sich lange hinziehen und wäre schwierig“, meint der italienische Anwalt Öcalans, Giuliano Pisapia.  Auch seien die Anklagepunkte „fragil“. Dagegen sind andere Juristen der Auffassung, daß ein Verfahren gegen Öcalan in Italien rechtlich nicht möglich ist. Die europäische Anti-Terrorismus-Konvention treffe in diesem Fall nicht zu, erklärte die Anwältin des PKK-Führers, Britta Böhler, in Amsterdam. Was die Türkei Öcalan vorwerfe, falle nicht unter terroristische Akte, wie sie in der Konvention beschrieben seien. Vielmehr gehe es bei dem Konflikt zwischen Kurden und der Türkei um einen „internen bewaffneten Konflikt“ im Sinne der Genfer Konvention von 1949. Auch sei das erste Protokoll dieser Konvention von 1977 anwendbar, weil es hier um den Kampf eines Volkes um Selbstbestimmung gehe.   (dpa)