Stuttgarter Zeitung,11.01.99

Hickhack um Kurden-Kundgebung hört nicht auf
Polizeipräsident wünscht Versachlichung der Debatte -
Haas: Keine Amtsanmaßung - OB Schuster bekräftigt Vorwürfe

Der Streit um die Kurden-Demonstration in Stammheim am vergangenen Mittwoch geht weiter. Polizeipräsident Volker Haas wies in einer persönlichen Erklärung Vorwürfe des Oberbürgermeisters zurück, er habe diesen zum Rechtsbruch aufgefordert.

Von Eberhard Renz
Zur Erinnerung: Am Dreikönigstag veranstalteten 2500 Kurden eine Trauerfeier vor dem Stammheimer Gefängnis.  Dort hatte sich im November 1998 ihr Landsmann Barzan Öztürk selbst angezündet, am Montag war er in einer Koblenzer Klinik gestorben. Die Kurden wollten Öztürks Sarg zu der Trauerfeier nach Stuttgart überführen.
Laut Polizeipräsident Haas steht in der städtischen Verfügung zur Kundgebung, daß die ¸¸Durchführung der Maßnahme in das polizeitaktische Ermessen der LPD Stuttgart II gestellt’’ werde. ¸¸Die Stadt selbst war also der Auffassung, daß durch die Gestattung des Mitführens des Sarges bei der Veranstaltung kein Rechtsbruch begangen wird, wenn die taktische Lage eine solche Zustimmung erfordert.’’
¸¸Davon kann keine Rede sein’’, widersprach Oberbürgermeister Wolfgang Schuster gestern. Das Ordnungsamt habe eine ¸¸Solidaritäts-Trauerkundgebung’’ genehmigt, bei der, wie der Veranstalter angab, 500 bis 1000 Kurden, und zwar aus Stuttgart und Umgebung, des toten Öztürk gedenken wollten. ¸¸Wir wollten nie die Zurschaustellung des Sarges genehmigen und haben sie nie genehmigt’’, betont Schuster. ¸¸Als sich am Morgen des 6.Januar abzeichnete, daß der Sarg nach Stuttgart gebracht werden sollte, wurde der Bescheid durch das Verbot, den Sarg bei dieser Kundgebung mitzuführen, ergänzt’’, sagt Alfons Nastold vom Amt für öffentliche Ordnung.
Volker Haas bestätigt, daß Öztürk PKK-Aktivist gewesen sei. Dieser habe aber nicht Selbstmord begangen, um die PKK zu unterstützen, sondern - wie aus seinem Abschiedsbrief hervorgehe - im wesentlichen aus Verzweiflung über seine Abschiebung.
Das Stuttgarter Ordnungsamt habe die von einem ¸¸Mesopotamischen Kulturverein’’ angemeldete Veranstaltung genehmigt. Falls nachweisbar eine PKK-Veranstaltung geplant gewesen wäre, so hätte die Stadt die Kundgebung verbieten müssen und tatsächlich verboten. Haas sagte, daß unter 2500 Kurden immer auch PKK-Anhänger seien. Dies bedeute aber nicht, daß es sich um eine PKK-Veranstaltung handelt. Bei der Demo am Dreikönigstag seien rund 20 PKK-Fahnen gezeigt worden. Die Fahnenschwenker wurden gefilmt, Strafanzeigen würden folgen.
Während der Veranstaltung hätten die Teilnehmer beschlossen, bis zum Eintreffen des Sarges auszuharren, sagt Haas. Er selbst sei vor der Aufgabe gestanden zu überlegen, wie 2500 Menschen - darunter auch Frauen und Kinder - angemessen aus Stammheim herausgeschafft werden können.  Haas: ¸¸Es mußte eine Lösung gefunden werden, die eine gewisse Akzeptanz bei den Versammlungsteilnehmern finden konnte.’’
Der Polizeipräsident widerspricht energisch dem Vorwurf, die Polizei sei vor dem Druck der Veranstaltungsteilnehmer zurückgewichen: ¸¸Wir haben Verständnis für die Auffassung der Teilnehmer aufbringen müssen, daß eine von der Stadt Koblenz erteilte und vom Oberbürgermeister jener Stadt bestätigte Genehmigung auch in Stuttgart gelten sollte.’’ Daher sei nach Auswegen aus der ¸¸scheinbar unvermeidlichen Konfrontation’’ gesucht worden.
Dagegen sagt OB Schuster: ¸¸Dr. Haas hat zum Zeitpunkt meiner Entscheidung ausdrücklich die Gefahr einer unkontrollierbaren Eskalation verneint und mir bestätigt, daß die Polizei die Sicherheitslage im Griff habe. Um so gravierender stellt sich die Aufforderung zum Rechtsbruch durch den Polizeipräsidenten dar.’’
Haas betont wiederum, daß er Überlegungen des
Oberbürgermeisters oder der Vertreter des Innenministeriums nicht kritisiert habe. ¸¸Es gibt zwar eine selbstverständliche Pflicht des Beamten, Entscheidungen, die er für falsch hält gleichwohl loyal zu vollziehen. Es gibt aber keine Verpflichtung, nach und beim Vollzug die eigene Meinung zu ändern und die eigenen Motive und Überlegungen zu vergessen.’’
Den Vorwurf der Amtsanmaßung kommentiert Haas wie folgt:
¸¸Das Innenministerium war in jeder Phase des Veranstaltungsablaufs eingebunden, so daß von Selbstherrlichkeit oder Amtsanmaßung keine Rede sein kann.  Es wäre zu begrüßen, wenn die Debatte versachlicht würde.’’
Die ¸¸Republikaner’’ haben inzwischen den Rücktritt von Haas wegen Unfähigkeit gefordert. ¸¸Einer kommunistischen Terrororganisation wie der PKK kann man nicht mit Toleranz begegnen. Deeskalation durch Nachgiebigkeit wird nur als Schwäche ausgelegt.’’