Stuttgarter Nachrichten 8.1.99

PKK-Chef Öcalan droht der Prozeß in Italien
Nur eine Ausreise kann den Kurdenführer vor einem Gerichtsverfahren retten

Rom - Zuletzt ist es seltsam still geworden um den Mann mit den markigen Worten: Abdullah Öcalan, Chef der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, der im vergangenenen November in Rom strandete.
VON JUTTA LAUTERBACH
Ministerpräsident Massimo D’Alema spricht aus, was manchen Italiener erschauern läßt. Sollte der 49jährige Italien nicht in Kürze verlassen, riskiere er, dort vor Gericht gestellt und verurteilt zu werden.
Ein deutscher Diplomat äußerte sich am Donnerstag ¸¸vorsichtig optimistisch’’, daß ein solcher Prozeß zustande kommt. ¸¸Rechtlich ist Italien verpflichtet, etwas zu tun’’, meint der Experte. ¸¸Auch wenn es niemand laut sagt, weil alle anderen ein schlechtes Gewissen haben.’’ Deutschland hatte trotz Haftbefehls wegen Mordes auf einen Auslieferungsantrag verzichtet.
Nach dem Stand der Dinge will kein europäisches Land die ¸¸heiße Kartoffel’’ Öcalan haben. ¸¸Alle Versuche sind ausgeschöpft’’, verlautet aus dem Umkreis des Kurden-Führers. Zuletzt ging es um Österreich, Litauen und Estland. Andere Staaten seien ins Gespräch gebracht, von Öcalan jedoch abgelehnt worden. Der ¸¸Staatsfeind Nummer eins’’ für die Türkei fürchtet Anschläge. Auch will er auf keinen Fall an Ankara überstellt werden, wo ihm die Todesstrafe droht.
Grundlage eines Verfahrens gegen Öcalan in Italien könnten die 1977 unterzeichnete Anti-Terror-Konvention des Europarates und der Artikel 10 des italienischen Strafgesetzbuches sein. Nach der Konvention verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten, Terroristen entweder auszuliefern oder im eigenen Lande vor Gericht zu stellen.
Terrorakte könnten nicht als ¸¸politische oder politisch motivierte Straftaten’’ anerkannt werden.
Nach den Bestimmungen des italienischen Strafgesetzbuches können Ausländer für im Ausland begangene Taten in Italien belangt werden, wenn eine Auslieferung nicht zustande kommt, sagt ein Rechtsexperte in Rom. ¸¸Die Drohung D’Alemas zeigt, daß Italien das Problem rasch lösen möchte.’’ Bei einem Verfahren in Italien wäre der nächste Schritt die Anklageerhebung.
¸¸Der Staatsanwalt könnte sich auch auf ein oder zwei gut beweisbare Delikte beschränken’’, meint ein Rechtsexperte.  ¸¸In Drittstaaten begangene Verbrechen sind schwerer nachzuweisen.’’ Eine Anklageerhebung sei noch 1999 nicht auszuschließen.
Die Türkei wirft Öcalan vor, für 30 000 Tote in 15 Jahren Terrorismus gegen Ankara verantwortlich zu sein. Und Schweden ermittelt wegen des noch immer unaufgeklärten Mordes an Ministerpräsident Olof Palme im Jahr 1986.  Fankreichs Fahnder haben die PKK wegen des Eintreibens von Schutzgeldern zur Finanzierung der Organisation im Visier.