Neue Presse, 30.12.2000

Politik:
EU wirbt für ehrliche Einwanderungspolitik

Die EU-Kommission möchte eine einheitliche Asyl- und Einwanderungspolitik auf die Beine stellen. Der Gipfel von Nizza brachte hier keine Fortschritte.

Derzeit mauern die Deutschen - allen voran Innenminister Otto Schily (SPD) - mehr als andere EU-Länder, wenn es um Mindeststandards für Einwanderung und Asyl geht. Beim Gipfel in Nizza Anfang Dezember beharrte die Bundesregierung auf ihrem Vetorecht.

So wurde schließlich vereinbart, dass Verordnungen erst ab dem 1. Mai 2004 mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden können, "wenn zuvor die gemeinsamen Regeln und wesentlichen Grundsätze für diesen Bereich festgelegt worden sind". Dass dies bis dahin geschehen soll, war bereits im Amsterdamer Vertrag festgeschrieben worden.

Zwei Papiere hat die Kommission unter Leitung von Präsident Romano Prodi vorgelegt - eines über gemeinschaftliche Einwanderungspolitik, das zweite über harmonisierte Asylverfahren und einen einheitlichen Flüchtlingsstatus.

Sie sind ein Appell an die Vernunft: "Tragische Zwischenfälle wie der in Dover im Juli 2000, wo 58 chinesische Staatsbürger starben, machen nicht nur deutlich, wie wichtig der Kampf gegen Menschenhandel ist, sondern auch, dass eine Nachfrage nach illegalen Arbeitskräften und der Ausbeutung von Einwanderern ohne Papiere besteht."

Unterschiedliche Asylverfahren und Lebensbedingungen für Flüchtlinge in der Union heizen nach Überzeugung der Kommission die so genannten Sekundärströme an: Wanderungsbewegungen innerhalb der EU in das Land, das jeweils die günstigsten Bedingungen bietet.

Die Kommission räumt ein, dass auch familiäre Bindungen oder die Landessprache ein Grund sein könnten, ein Exilland dem anderen vorzuziehen. Der Hauptfaktor aber sei die rechtliche und soziale Lage, die das jeweilige Land dem Flüchtling biete.

So sei Deutschlands Anteil an der Einwanderung in die EU zwischen 1997 und 99 von knapp vierzig auf fünfundzwanzig Prozent gefallen, weil sich die Bedingungen verschlechtert hätten. Dagegen stieg die Zuwanderung nach Belgien und Großbritannien im gleichen Zeitraum steil an.

"Auseinander klaffende Asylpolitiken in den verschiedenen Mitgliedsstaaten müssen verschwinden, und es muss eine Anstrengung gemacht werden, die Lebensbedingungen anzugleichen, um negative Auswirkungen auf die Interessen der Mitgliedsländer zu vermeiden", fordert die Kommission.

Um die Ängste von Otto Schily und Hardlinern in anderen EU-Staaten zu besänftigen, macht die Kommission klar, dass sie nicht vorhabe, EU-Institutionen zu schaffen, die das Asylverfahren durchführen und kontrollieren sollen. Dies bleibe Sache der Mitgliedsstaaten.

Allerdings müsse mittelfristig über eine gemeinschaftliche Liste sicherer Herkunftsländer und Drittstaaten nachgedacht werden.

Vor allem aber müssten die Mitgliedsstaaten endlich ehrlich ihren eigenen Interessen ins Auge sehen: Das Spiel mit der Wirtschaftsmigration, die als politisches Exil getarnt sei, funktioniere nur deshalb, weil in der EU in Wahrheit großer Bedarf an eingewanderten Arbeitskräften bestehe.

"Die Mitgliedsstaaten könnten das, was als Asylmissbrauch bezeichnet wird, viel besser bekämpfen, wenn sie eine große Auswahl an offenen und nachvollziehbaren Instrumenten der Einwanderungspolitik zur Verfügung hätten."

Dieser Satz scheint fürs Stammbuch der deutschen Kinder-statt-Inder-Polemiker geschrieben. Die Kommission untermauert ihn mit Zahlen: Zwischen 1975 und 1995 stieg der Anteil derjenigen EU-Bürger, die älter als 65 Jahre sind, von 13 auf 15,4 Prozent. 2025 wird fast jeder vierte EU-Bürger ein Rentner sein.

Feste Einwanderungsquoten will die Kommission nicht einführen. Die Mitgliedsstaaten sollen aber in regelmäßigen Abständen "Zieldaten" veröffentlichen, die Rückschlüsse darauf zulassen, welche Qualifikationen auf den nationalen Arbeitsmärkten gebraucht werden.

Mittelfristig sieht sie einen Berg an Aufgaben, die bewältigt werden müssen, wenn eine harmonisierte Asyl- und Migrationspolitik gelingen soll.

So müsse die Zusammenarbeit zwischen den Asylbehörden in den Mitgliedsländern verbessert und die Rechtsprechung auf nationaler und europäischer Ebene analysiert und angepasst werden.

onl, BRÜSSEL