Süddeutsche Zeitung, 29.12.2000

Hindernis auf dem Weg zum Frieden im Nahen Osten

Ein Heer von Flüchtlingen erscheint den Israelis als Bedrohung Rückkehr der Palästinenser nach Israel, ins Westjordanland und nach Gaza würde das instabile Gleichgewicht vollends zerstören / Von Thorsten Schmitz

Jerusalem - Neben der Frage, wem Jerusalem künftig gehören darf, hat sich erwartungsgemäß das Flüchtlingsproblem als Haupthindernis für eine Einigung zwischen Israel und den Palästinensern entpuppt. Der unberechenbare Palästinenserpräsident Jassir Arafat muss bei jedem Friedensdeal nicht nur seinem Volk in Gaza und Westjordanland gerecht werden - ihm im Nacken sitzen auch die Forderungen der vier Millionen palästinensischen Flüchtlinge in den Anrainerstaaten. Nahezu jeder von ihnen will zurück in das Gebiet, das seit 52 Jahren Israel ist. Zurück in Städte wie Haifa also, oder Akko oder Jaffa nahe Tel Aviv, wo Israelis leben - zum Teil auf Grund und Boden und in Häusern, die einst den geflüchteten Palästinensern gehörten. Viele von ihnen haben in Schatullen Grund- und Pachtverträge aufbewahrt, die sie als Eigentümer heutigen israelischen Bodens ausweisen - nur nutzen wird ihnen das nichts.

Ein Teil des von Clinton vorgetragenen Friedensplans sieht vor, dass Arafat der Losung zustimmt, auf ein generelles Rückkehrrecht der Palästinenser zu verzichten. Im Gegenzug soll Israel der Gründung eines palästinensischen Staates zustimmen und das Leid der meist zwischen 1946 und 1948 von Juden vertriebenen und vor Juden geflüchteten etwa 900 000 Palästinenser anerkennen. Clinton schlägt zudem vor, dass im Rahmen humanitärer Familienzusammenführung einige zehntausend Palästinenser auf heutiges israelisches Staatsgebiet zurückkehren dürfen. Die meisten aber sollen in den künftigen palästinensischen Staat übersiedeln können - einen Staat, den die Palästinenser nie zuvor besessen haben. Andere wiederum sollen in die USA, nach Frankreich, Deutschland, England oder Italien ausreisen dürfen oder finanziell entschädigt werden. Fest steht lediglich: Dort, wo die meisten palästinensischen Flüchtlinge derzeit in - laut UN "armseligen" - Lagern leben, sind sie unerwünscht: bei ihren arabischen Brüdern. Allein in Jordanien leben nach UN-Schätzungen heute 1,5 Millionen Flüchtlinge, in Syrien etwa 300 000 und im Libanon 380 000. Die Staatschefs dieser Länder hätten es am liebsten, wenn die Flüchtlinge auswanderten. Der Libanon, Syrien und Jordanien haben so schon genügend Probleme und wirtschaftliche Rezession. Die reichen arabischen Staaten wie Dubai etwa wollen erst recht keine Schmuddelkinder in ihren Vorhöfen. Sie alle bevorzugen den Clinton-Plan, dass die meisten zurückkehren sollen nach Gaza und Westjordanland, wo ohnehin schon 825 000 (Gaza) und 580 000 (Westjordanland) Flüchtlinge in Lagern leben.

In den zwei Palästinensergebieten leben insgesamt zirka 3,5 Millionen Palästinenser, in Israel fünf Millionen Juden und eine Million arabische Israelis. Israel ist gegen ein generelles Rückkehrrecht, da es seine Identität als Staat der Juden in Gefahr sieht, wenn plötzlich 7,5 Millionen Palästinenser unter fünf Millionen Juden lebten. Selbst der linke Vorsitzende der Meretz-Partei erklärte dieser Tage, ein generelles Rückkehrrecht für die palästinensischen Flüchtlinge "wäre das Ende Israels". Ohnehin ist es fraglich, ob die Mehrheit der palästinensischen Flüchtlinge tatsächlich an ihre alten Heimatorte zurückkehren und dort unter Juden leben möchte. Insofern ist das Beharren Arafats darauf eine mit gespaltener Zunge vorgetragene Forderung. Wichtig ist ihm vielmehr, dass die internationale Staatengemeinschaft das Problem der Flüchtlinge anerkennt und sich darum kümmert. Das ist bitter nötig. Denn palästinensische Flüchtlinge haben so gut wie keine Rechte. Die libanesische Regierung etwa versagt ihnen den Zugang zum Erziehungswesen und den Anspruch auf Sozial- und Krankenversicherung. Palästinensern wird erst seit einem Jahr überhaupt erlaubt, nach einem Auslandsaufenthalt mit ihren provisorischen Reisepapieren wieder einzureisen. Vorher durften palästinensische Flüchtlinge nach einer Reise nicht mehr in den Libanon zurück. Die Regierung in Beirut begründet die Restriktionen mit der Beteiligung der Palästinenser am Bürgerkrieg.

Dass es überhaupt palästinensische Flüchtlinge gibt, ist auch die Schuld Israels - erst seit kurzem wird auch in den Schulen gelehrt, dass jüdische Einwanderer Massaker an Palästinensern verübt haben. Aber Israel ist nicht allein schuld. Das Flüchtlingsproblem ist auch auf eine politische Verweigerung der Palästinenser zurückzuführen. 1947 hatten die Vereinten Nationen einen Plan zur Teilung Palästinas zwischen Juden und Palästinensern vorgelegt, den die Palästinenser ablehnten. Erst danach, im Mai 1948, rief David Ben-Gurion den israelischen Staat aus - und die arabischen Staaten erklärten Israel den Krieg.