Frankfurter Rundschau, 28.12.2000

Töne, schrill und giftig

Radikale israelische Siedler machen gegen den US-Kompromiss für Nahost mobil

Von Inge Günther (Jerusalem)

Die Töne, die die radikalen israelischen Siedler anschlagen, klingen wieder schrill und giftig. Dass die US-Kompromissvorschläge den Nahost-Friedensprozess aus seiner Agonie geweckt haben, hat auch ihnen einen Adrenalinstoß versetzt.

Erstmals seit fünf Jahren, jenen Tagen vor dem Mord an dem früheren Premier und Friedensnobelpreisträger Yitzhak Rabin, ist auch das Wort vom Verrat nicht mehr tabu. Diesmal gilt es Ehud Barak, der in den Augen der ideologischen Siedlerschaft einen Ausverkauf des Landes betreibt. Sie habe kein Problem damit, die Sache beim Namen zu nennen, bekennt Nadia Matar von den "Frauen in Grün", den organisierten Siedler-Aktivistinnen. "Jeder, der Jerusalem dem Feind überlässt, ist ein Verräter." Noch sind solch' verbalen Ausfälle die Ausnahme. Doch machen die Rechten gegen ein Abkommen mit den Palästinensern mobil wie zu einer letzten Schlacht zur Verteidigung Israels. Um nichts anderes handele es sich, meint der Knesset-Abgeordnete von der Nationalen Union, Rehavam Ze'evi. Barak habe wohl "den Verstand verloren", und das sei noch der geringste Vorwurf.

Große Demonstrationen sind für die nächste Zeit geplant. Ideen kursieren, das Büro Baraks zu belagern, ebenso das Löwentor in der Altstadt, um den Moslems den Hauptweg zu ihren heiligen Stätten auf dem Tempelberg zu versperren. Ein Autokonvoi der Siedler soll von jetzt an ihre zentrale Parole "der Tempelberg gehört uns" auf Touren bringen. Beim Treffen der Siedlerlobby am Dienstagabend hat Noam Arnon, Sprecher der jüdischen Enklaven in Hebron, auch dafür geworben, sich in den Siedlungen zu verbarrikadieren. Man wolle Bunker bauen - sozusagen in den Untergrund gehen -, um sich jeder Räumung zu widersetzen.

Denn es geht den Siedlern nicht nur um Jerusalem, das nationale Symbol, das auch viele moderate Israelis lieber unangetastet sähen. Die Siedler fürchten vor allem, dass mit dem wieder greifbar gewordenen Friedensschluss zwischen Barak und PLO-Chef Yassir Arafat ihre Tage in Gaza und Westbank gezählt sind. Denn der läuft darauf hinaus, sämtliche jüdische Kolonien in Gaza sowie einen Großteil im Westjordanland aufzugeben. Das betrifft schätzungsweise 30 000 bis 50 000 Bewohner. Eine stattliche Zahl, auch wenn mindestens dreimal so viele eine Bestandsgarantie erhalten sollen, da drei große Siedlungsblöcke - das palästinensische Einverständnis vorausgesetzt - von Israel annektiert würden.

Entsprechend kampfentschlossen geben sich Hardcore-Siedler wie etwa Arnon. "Unsere Leute würden eher ihr Leben hergeben als die Stadt des Patriarchen Abraham." Auf Likud-Boss Ariel Scharon, den Herausforderer Barak bei den Wahlen am 6. Februar, scheint ihnen allein kein Verlass. Dem werden sie ihre Stimme geben, aber nicht ihr völliges Vertrauen. Scharon hat zwar versprochen, im Falle seines Wahlsiegs ein Barak/Arafat-Abkommen nicht zu respektieren. Doch, so heißt es unter ihnen, habe er schließlich seinerzeit die Siedlungsräumung auf der Sinai-Halbinsel überwacht - Israels Preis für den Frieden mit Ägypten. Zudem will Scharon eine große Koalition mit Barak.