junge Welt, 28.12.2000

»Aktion Noteingang« kontra Notausgang«

Hallenser »Initiative Zivilcourage« fordert von Bundesregierung »antifaschistische Prävention«

Erst hetzten sie ihn durch die Neustadt, dann stachen sie ihm ein Auge aus. Halles Nazis haben einem Mocambiquaner, Familienvater, verheiratet und schon zu DDR-Zeiten Arbeiter beim Waggonbau Ammendorf, schwer zugesetzt. Das ist mehr als ein Jahr her. Doch rassistische Gewalt und Pöbeleien, faschistische Propaganda, Aufmärsche und Randale sind im Jahre zehn nach dem Ende der DDR in Sachsen-Anhalts Kulturhauptstadt weiter alltäglich.

Doch lange vor der aktuellen Orgie naiver Betroffenheitsbekundungen haben hier Bürger damit begonnen , sich gegen den braunen Sumpf zur Wehr zu setzen. So hat die »Initiative Zivilcourage Halle« im Herbst die in Brandenburg bereits im vergangenen Jahr von Antifaschisten initiierte »Aktion Noteingang« auch in Halle eingeführt. Inzwischen befinden sich stadtweit an 1 000 Gebäuden sowie an den Straßenbahnen und Bussen die gelb-schwarzen Aufkleber, die Schutz vor rassistischer und faschistischer Gewalt anbieten. Zwei große Transparente der Aktion hängen im Zentrum Halles. »Diskussionen anzuregen und Menschen guten Willens zu motivieren«, so benennt der Sprecher der Initiative, Johannes Krause, deren wichtigstes Ziel.

Im Vorfeld der »Aktion Noteingang« unter Schirmherrschaft der Oberbürgermeisterin Ingrid Häußler war Aufschlußreiches von den angesprochenen Händlern, Gastwirten und Institutionen zu erfahren. Ängste wurden deutlich: Vor zerschlagenen Scheiben und davor, selbst Opfer zu werden. Etliche Ladenketten, die an sich an der Aktion interessiert gewesen wären, wurden von ihren im Westen angesiedelten Vorständen zurückgepfiffen. Banken und Kirchen lehnten die Aufkleber mit der Begründung ab, daß zu helfen selbstverständlich sei. Eine Fokussierung auf rassistische und faschistische Hintergründe stieß auf wenig Gegenliebe. Auch in der Initiative selbst war sie Gegenstand einer umfangreichen Pro- und Kontra-Diskussion. Man müsse, so die Fokussierungsgegner, gegen jede Form von Gewalt auftreten.

Unterdessen reagierten auch Halles Nazis vom sogenannten »Nationalen Widerstand Halle« auf die Aktion. Sie überzogen die Stadt mit schwarz-gelben Plakaten einer »Aktion Notausgang« gegen »multirassistische« und »linksfaschistische« Übergriffe.

Inzwischen arbeitet die »Initiative Zivilcourage« an neuen Projekten. So ist ein offener Brief zum Rechtsextremismus an die Bundesregierung in Arbeit. Dabei fordern die Verfasser, antifaschistische Prävention in Schule und Gesellschaft sowie Zivilcourage endlich wirksam zu unterstützen.

Die Initiative ist ein offenes Bündnis von Mitgliedern von Vereinen, Kirchen, Gewerkschaften, öffentlichen Einrichtungen und engagierten Einzelpersonen. Kein Aktionismus, sondern kontinuierliche Arbeit - das war und ist von Anfang an der Anspruch der Gruppe, die sich 1998 in Reaktion auf die Wahlwerbung der DVU (»Kriminelle Ausländer raus«) vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt spontan gebildet und mit einem offenen Protest an die Presse gewandt hatte. Um antifaschistische Kräfte zu bündeln, aber auch, um auf eine solide finanzielle Basis zu kommen, verbündete sich die Ur-Initiative schon bald mit der Initiative für Demokratie, Gewaltlosigkeit und Toleranz. Diese war unter Federführung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) unmittelbar nach der Landtagswahl, bei der die DVU 13 Prozent der Stimmen einfuhr, gegründet worden.

Das erste gemeinsame Projekt hieß »Spurensuche«. Es stellte das Beispiel der antifaschistischen Widerstandsgruppe »Weiße Rose« in den Mittelpunkt eines Zeitzeugengesprächs und einer Forschungsreise von Hallenser Jugendlichen nach München. Im Ergebnis entstanden zwei Ausstellungen zum Thema Faschismus gestern und heute in der Marktkirche zu Halle. Später organisierte die Initiative eine Lesung der in London lebenden jüdischen Emigrantin Anita Lasker-Wallfisch vor Schülern und ein Treffen mit zwei ehemaligen Zwangsarbeiterinnen aus den GUS-Staaten.

Das Bündnis wurde auch aktiv, als es galt, eine Nazi-Demo in Halle zum Jahreswechsel 2000/2001 zu verhindern. Im Bewußtsein dessen, daß derartige Aufmärsche heutzutage nicht etwa aus inhaltlichen, sondern ausschließlich aus sicherheitspolitischen Gründen verboten werden, hatte die Initiative kurzerhand so viele Parallelveranstaltungen angemeldet, daß die Polizei wegen Sicherheitsbedenken sämtliche Versammlungen zum Jahreswechsel verbot.

Martin Schramme

*** Weitere Infos zur Initiative Zivilcourage im Internet: www.izhalle.de