Bremer Nachrichten, 23.12.2000

Mit Baumaschinen und Kampfhubschraubern

Türkei nimmt weiteres Gefängnis ein/Protest in Bremen

Große Löcher klafften in einem Gefängnisblock - schwere Baumaschinen hatten die Wände in den vergangenen Tagen aufgebrochen, um den Sicherheitskräften einen Weg in das Gefängnis zu öffnen. Dennoch brauchte die Armee rund 60 Stunden, bis der Widerstand der Häftlinge gebrochen war. Bei den Auseinandersetzungen starben mindestens drei Häftlinge. Dann hatte der türkische Staat am Donnerstag 19 von 20 Gefängnissen wieder unter Kontrolle, in denen die Häftlinge mit ihrem Hungerstreik gegen eine Gefängnisreform protestierten. Gekämpft wurde nur noch im Istanbuler Hochsicherheitsgefängnis Ümraniye; dort setzte die türkische Armee Kampfhubschrauber ein. Die Zahl der Toten bei der Rückeroberung der Gefängnisse stieg durch die neuen Kämpfe auf mindestens 22, rund 100 Menschen wurden verletzt.

Während die türkische Regierung den Sieg über die Häftlinge in Canakkale erleichtert aufnahm und sich auf die Lage in Ümraniye konzentrierte, wuchs die Kritik am Vorgehen der Behörden. Türkische Ärzteverbände forderten von Ankara eine lückenlose Aufklärung über die genauen Todesumstände der Opfer der Gefängnisstürmungen. Damit reagierten die Mediziner auf Berichte, wonach die Häftlinge nicht infolge von Selbstverbrennungen starben, wie die Behörden sagen, sondern von den Soldaten getötet wurden; nach Einschätzung von Menschenrechtlern kamen bei den Aktionen mindestens 30 Menschen um.

In Bremen besetzten einige Mitglieder türkischer und deutscher Menschenrechtsgruppen das Landesbüro der Grünen, um gegen die Einsätze türkischer Sicherheitskräfte zu protestieren. "Ganz friedlich" sei die rund einstündige Aktion gestern morgen verlaufen, teilte die Pressesprecherin der Grünen, Dagmar Bleiker, mit. Nachdem der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Matthias Güldner ein an deutsche und türkische Regierungsstellen gerichtetes Schreiben aufgesetzt hatte, zogen die Protestierer wieder ab. Die Bremer Grünen-Fraktion fordert darin ein Ende der gewalttätigen Aktionen gegen Gefangene in der Türkei, menschliche Haftbedingungen und eine Untersuchung der jetzigen Vorgänge.