junge Welt, 23.12.2000

Keine Waffenhilfe für den Folterstaat

Bundesweiter Friedensratschlag fordert sofortiges Rüstungsembargo gegen die Türkei

»Mit Entsetzen«, so Peter Strutynski vom Bundesausschuß Friedensratschlag, »reagiert die Friedensbewegung auf die militär-polizeilichen Aktionen gegen Häftlinge in türkischen Gefängnissen.« Leider sei dieses Vorgehen keine Ausnahme, sondern stehe in einer traurigen Tradition vergleichbarer Ereignisse. So seien am 5. Juli 2000 bei einem Angriff auf das Burdur-Gefängnis 62 Gefangene verletzt worden. Auch Tote seien immer wieder zu beklagen gewesen.

»Am 26. September wurden im Zentralgefängnis von Ankara zehn Häftlinge getötet und 85 verletzt. Vier Jahre zuvor, am 24. September 1996, wurden im Gefängnis von Diyarbakir zehn Gefangene, die der PKK angehörten, mit Eisenstangen zu Tode geprügelt; 23 Häftlinge wurden schwer verletzt. In einem Bericht über die Menschenrechtssituation kam im September 2000 die türkische Menschenrechts- Vereinigung IHD zum Ergebnis, daß politische Morde, außergerichtliche »Hinrichtungen« und das »Verschwindenlassen« politischer Gegner an der Tagesordnung sind. In der ersten Hälfte des Jahres 2000 wurden 263 Fälle bekannt, in denen Häftlinge gefoltert wurden. Im Jahr zuvor hatte die Menschenrechtsstiftung TIHV 686 Folteropfer gemeldet; 90 Prozent von ihnen waren aus politischen Gründen verhaftet worden.

Strutynski beklagt weiter: Ankara habe zwar am 16. August die beiden wichtigsten internationalen Menschenrechtskonventionen unterzeichnet - den Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie den Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte -, die türkische Regierung schere sich um diese UN-Konventionen jedoch nicht. Statt eine Liberalisierung auch im Umgang mit der kurdischen Opposition einzuleiten, wende die Regierung in Ankara nun erneut brutalste Formen der Unterdrückung an. Der landesweit koordinierte bewaffnete Überfall auf die politischen Hungerstreikenden in 20 türkischen Gefängnissen zeige einmal mehr, daß das Regime in Ankara keinen Frieden suche, sondern weiter auf Diskriminierung, Isolierung und Kriminalisierung setze.

Zu den neuen Vorgängen in der Türkei müßten die Regierungen der Europäischen Union eindeutig Stellung beziehen, die in Nizza das Land auf die Liste der Beitrittskandidaten gesetzt hatten; erforderlich sei eine Erklärung, in der Ankara klargemacht werden müsse, daß mindestens die elemtaren Menschenrechte einzuhalten und der innere Krieg gegen ein ganzes Volk sofort beenden werden müsse, wenn das Land tatsächlich in die EU wolle.

Bei Appellen dürfe es angesichts der aktuellen Vorkommnisse nicht bleiben: »Von der Bundesregierung fordern wir einen sofortigen Stopp aller Waffenlieferungen an die Türkei. Es ist ein Skandal, daß die Türkei unter den Empfängerländern deutscher Rüstungsgüter auf dem ersten Platz rangiert. Berlin muß unverzüglich die Genehmigung des Exports einer Fertigungsanlage für Gewehrmunition widerrufen und endgültig auf die Lieferung von Leopard-2- Kampfpanzern verzichten.«

Der Bundesausschuß Friedensratschlag werde jedenfalls jetzt seine vor einem Jahr begonnene Kampagne gegen die Rüstungsexporte in die Türkei mit Nachdruck fortsetzen. Genau das hat nun auch das Netzwerk Friedenskooperative in Bonn vor. Neben Unterschriftenlisten, die beim Friedensratschlag in Kassel eingehen, läuft parallel noch eine vom Bonner Netztwerk-Büro koordinierte Postkartenaktion: »Keine Panzer- und Waffenlieferungen an die Türkei«. Am 8. Mai diesen Jahres hatte in Berlin Manfred Stenner vom Netzwerk-Büro etwa 14 000 Protestpostkarten an Claudia Roth übergeben. Die Grüne ist Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und versprach damals, sich für einen Stopp aller Waffenlieferungen an die Türkei einzusetzen.

Thomas Klein