Nürnberger Zeitung, 23.12.2000

Wie iranische Reformgegner die Öffentlichkeit hinters Licht führen

Auf die Morde an Intellektuellen folgt ein Prozess, der keiner ist

Von unserem Redaktionsmitglied STEPHANIE RUPP

TEHERAN (NZ). - Die Meldung galt in der iranischen Bevölkerung als Sensation, weil es ein solches Eingeständnis noch nie zuvor in der damals 20-jährigen Geschichte der Islamischen Republik gegeben hatte: Im Januar 1999 hatte das Geheimdienstministerium offiziell eingeräumt, dass eigene Mitarbeiter in die brutalen Serienmorde von mindestens fünf Intellektuellen und Schriftstellern verwickelt waren, die Ende 1998 erstochen, vergiftet oder erschossen worden waren.

Ein vom moderaten Staatspräsidenten Mohammed Chatami eigens einberufener Untersuchungsausschuss hatte dies ans Licht gebracht. Das Oppositionellen-Ehepaar Dariush Foruhar und seine Frau Parvaneh Eskandari, einst selbst Schah-Gegner und feurige Kämpfer der Islamischen Revolution, sowie der Journalist und Übersetzer Majid Sharif, der Schriftsteller Mohammed Mochtari und der Kunstkritiker Mohammed Puyandeh waren Opfer der bestialischen Morde geworden. Verübt von Kreisen der islamistischen Hardliner, die damit gezielt die aufkeimende Reformbewegung um Mohammed Chatami schädigen wollten, indem sie die Intellektuellen in Todesangst und Schrecken versetzten.

Eine reine Farce

Zwei Jahre lang kämpften Reformpolitiker und Journalisten aufs Heftigste darum, dass die Mörder endlich vor Gericht gestellt werden. Jetzt soll es nun so weit sein. 18 Angeklagte, die in die Schandtaten verwickelt gewesen sein sollen, werden sich vor dem Teheraner Militärgericht verantworten müssen.

Wer allerdings glaubt, hier würden die wahren Verantwortlichen vor Gericht stehen, unterliegt wohl einem Trugschluss. Genau deswegen schimpfen die Journalisten der wenigen verbliebenen reformorientierten Zeitungen (die meisten waren im April verboten worden) seit Tagen, der Prozess sei nur eine Farce. Das auf die Hardliner und Chatami-Gegner zornige Volk solle beruhigt und die für die ultrakonservativen Kräfte höchst unangenehme Angelegenheit ein für allemal aus der Welt geschafft werden.

Einer der prominentesten und schlagkräftigsten Journalisten des Landes nutzte kürzlich sein eigenes Gerichtsverfahren dazu, um das öffentlich zu äußern, was im Volk ohnehin die meisten denken: Akbar Gandschi, in Haft wegen seiner kritischen Publikationen, nannte die Namen der Auftraggeber dieser und rund 80 anderer Intellektuellen-Morde seit Beginn der 90er Jahre - verübt im In- und Ausland. Denn die Kettenmord-Serie Ende 1998 war nur die Spitze eines Eisbergs.

Allen voran beschuldigte Gandschi den langjährigen ehemaligen Geheimdienstminister Ali Fallahian als "Architekt der Serienmorde". Er war zwar nur bis 1997 im Amt, gehört jedoch der religiösen Hagghani-Schule an, die aus ultrakonservativen Mullahs aus der Hardliner-Hochburg Ghom besteht. Der islamische Gelehrte war auch von der deutschen Justiz als Auftraggeber der Mykonos-Morde entlarvt worden. Noch immer besteht ein deutscher Haftbefehl gegen ihn. Auftraggeber der 1998er Mordserie und mindestens verantwortlich für vier Fälle sei der ihm folgende Geheimdienstminister Dorri Najafabadi gewesen - seines Zeichens ebenfalls ein wichtiger Gelehrter.

In Kreisen der Reformer - unterstützt von 80 Prozent der iranischen Bevölkerung - sagt man, die Intellektuellen-Morde mussten von angesehenen Gelehrten genehmigt worden sein, solchen Taten müsse eine Fatwa (religiöser Befehl) vorangehen. Und diese können nur hochrangige Gelehrte, sogenannte Modschtaheds, erteilen. Die zwei Beschuldigten gehören in diese Kategorie, aber vor Gericht steht heute keiner von ihnen. Es ist nicht einmal sicher, ob es sich bei den 18 Angeklagten überhaupt um die mutmaßlichen Auftragsmörder handelt. Einer, der Wesentliches zum Prozess beitragen könnte, ist tot: Said Emami, selbst einer der Hauptverdächtigen und hochrangiger Mitarbeiter des Geheimdienstes, kam im Juni 1999 in Untersuchungshaft ums Leben. Im Dunkeln liegt, ob er tatsächlich durch das Schlucken von Haarentfernungs-Creme Selbstmord begangen hatte, wie offiziell behauptet.

Weil er jedoch angekündigt hatte, sein Wissen auszuplaudern, spekulierten Journalisten, dass er umgebracht wurde, damit er eben nicht die Namen der wahren Hintermänner preisgeben kann. Der Zeitungsherausgeber Said Hajjarian, selbst enger Vertrauter des Staatspräsidenten und ebenfalls früherer Geheimagent, formulierte in diesen Tagen treffend, worum es geht: Der Prozess bringe allenfalls den obersten Teil einer Schicht ans Licht, sagte Hajjarian, der selbst im März 2000 Opfer eines Attentats geworden war, dieses nur mit viel Glück überlebte und heute im Rollstuhl sitzt. Erst wenn man die tiefere Schicht ergründen werde, könne man auch die aktuellen Probleme des Iran lösen. Dann müsste wohl ein großer Teil der Hardliner von der politischen Bühne abtreten.