taz 22.12.2000

Odyssee zweier Asylantinnen

Zwei in die Türkei abgeschobene Kurdinnen sind seit gestern wieder in Deutschland. Nach einer Odyssee wurden ihre Anträge auf politisches Asyl anerkannt. Eine der beiden Frauen wurde verprügelt - ihre behinderte Schwester musste dabei zusehen

aus Hannover JÜRGEN VOGES

Zwei junge Kurdinnen, die zunächst in die Türkei abgeschoben und dort misshandelt worden waren, sind wieder in Deutschland. Der Sprecher des niedersächsischen Flüchtlingsrates, Kai Weber, bezeichnete das Schicksal der beiden Frauen als "bislang einmalig". Zuvor seien noch nie abgeschobene Flüchtlinge in Abwesenheit anerkannt worden und dann wieder in die Bundesrepublik zurückgekehrt.

Vor ihrer Abschiebung aus Deutschland hatten die beiden 20 und 21 Jahre alten Schwestern in einem Asylfolgeverfahren ein Schreiben eines türkischen Rechtsanwaltes vorgelegt, das vor einer Verfolgung in der Türkei warnte. Das Bundesamt für die Anerkennung von Asylverfahren und auch das Verwaltungsgericht Hannover stuften den Brief zu Unrecht und mit einer abstrusen Begründung als Fälschung ein: Der Stempel des Anwalts erwecke den Eindruck, er "stamme aus einer Kinderpost", und die für den Brief verwendete Schreibmaschine sei in hohem Maße defekt.

Die beiden jungen Frauen flohen nach Angaben von Pro Asyl und des niedersächsischen Flüchtlingsrates 1993 ein erstes Mal in die Bundesrepublik. Schon ihren ersten abgelehnten Asylantrag begründeten sie damit, dass das türkische Militär sie der Unterstützung der PKK verdächtige und sie immer wieder aufgesucht und nach ihrem Bruder befragt habe.

Als den Schwestern im April dieses Jahres die Abschiebung aus der Bundesrepublik drohte, begründeten sie einen Asylfolgeantrag mit dem anwaltlichen Schreiben und weiteren Schriftstücken aus der Türkei. Aus den Dokumenten ging hervor, dass ein Überläufer sie und ihre Brüder als vermeintliche PKK-Mitglieder denunziert hatte.

Nachdem das Bundesamt die Dokumente als gefälscht eingestuft hatte, lehnte es auch das Verwaltungsgericht Hannover ab, die Abschiebung bis zu einer Entscheidung über den Asylfolgeantrag auszusetzen.

Die Abschiebung hatte für die jungen Frauen schlimme Folgen. Auf Betreiben der Staatsanwaltschaft beim Staatssicherheitsgericht Diyarbakir wurden sie Ende Mai festgenommen und von einer Anti-Terror-Einheit drei Tage und zwei Nächte lang unter Schlägen und sexuellen Demütigungen verhört. Eine der jungen Frauen wurde nach eigenen Angaben bis auf die Unterhose entkleidet und dann von fünf vermummten Männern immer wieder geprügelt.

Ihre schwer behinderte Schwester musste dies verfolgen und wurde im Rollstuhl sitzend ebenfalls geschlagen. Nach den Misshandlungen wurden die beiden Frauen zunächst entlassen, danach wieder festgenommen und verhört und suchten sich schließlich ein Versteck.

Das Verwaltungsgericht Hannover führte unterdessen das Asylfolgeverfahren weiter, korrigierte dabei seine Einschätzung und erkannte die jungen Frauen im September nachträglich in Abwesenheit als asylberechtigte Flüchtlinge an. Nachdem das Urteil rechtskräftig geworden war, reiste ein Vertreter des niedersächsischen Flüchtlingsrats, ausgestattet mit einem Schreiben des Innenministeriums in Hannover, in die Türkei. Dort stellte ihm die deutsche Botschaft für die beiden Frauen ein Visum für die Bundesrepublik und eine Bescheinigung über die Befreiung von der Passpflicht aus. Am Mittwoch flohen die Schwestern ein zweites Mal aus ihrem Heimatland.

Gestern Nachmittag trafen sie schließlich in Hannover ein. Der Sprecher des niedersächsischen Flüchtlingsrates, Kai Weber, verlangte vom Bundesinnenministerium eine finanzielle Entschädigung für die den Frauen zugefügten Leiden und die Übernahme der Rückkehrkosten.