Süddeutsche Zeitung, 22.12.2000

Machtkampf im Regierungslager

Barak erzürnt über Kandidatur von Peres

Premier droht mit Abbruch der Friedensgespräche in Washington / Thierse-Interview löst in Israel Irritationen aus / Von Thorsten Schmitz

Jerusalem - Israels Premierminister Ehud Barak hat am Donnerstag bis zur letzten Minute zu verhindern versucht, dass sein Parteikollege und Friedensnobelpreisträger Schimon Peres am 6. Feb- ruar bei der vorgezogenen Wahl zum Premier antritt. Am Nachmittag trafen sich die beiden unter Vermittlung der linken Meretz-Partei. Frist zur Anmeldung der Kandidatur war Donnerstag um Mitternacht. Nach Medienberichten soll Barak gesagt haben, er wolle nicht an zwei Fronten kämpfen, gegen Ariel Scharon und Peres. Barak soll Peres sogar damit gedroht haben, er werde die Verhandlungsdelegation aus Washington unverzüglich abberufen, falls Peres an seiner Absicht festhalte. Umfragen zufolge hat Barak nur eine Chance, die Wahl zu gewinnen, falls er den Wählern einen Friedensvertrag mit den Palästinensern anbietet. Peres hatte am Mittwoch seine Entscheidung bekannt gegeben, neben Barak und Likud-Chef Scharon zu kandidieren.

Umfragen zufolge würde eine Mehrheit der Israelis Peres wählen und nicht Barak oder Scharon. Peres, der im Laufe seiner Karriere noch nie eine Wahl gewonnen hat, erklärte im Rundfunk: "Zum ersten Mal kommt es vor, dass das Volk mich will und nicht umgekehrt - und ich soll nicht antreten?" Peres braucht für die Kandidatur mindestens zehn Abgeordnetenstimmen. Die der Arbeitspartei bekommt er nicht, da sie bereits Barak nominiert hat. So konzentrierten sich die Verhandlungen von Peres darauf, die Stimmen der linken Meretz-Partei zu erhalten.

Deren Parteichef Jossi Sarid sagte nach Gesprächen mit Barak und Peres am Mittag, er ziehe eine Zusammenarbeit der beiden einer Kampfkandidatur vor. Barak habe Peres die führende Rolle bei den laufenden Verhandlungen mit den Palästinensern angeboten. Peres fühlt sich mit seinem Amt des Ministers für regionale Kooperation abgespeist.

Unterdessen hat ein Interview von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse mit der Jerusalem Post in Israel Befremden ausgelöst. Ein Sprecher des Außenministeriums bezeichnete das Interview ohne Kenntnis des Wortlauts als "irritierend". Diplomatische Kreise in Tel Aviv zeigten sich "überrascht", und Scharon sagte, Thierses Äußerungen seien "befremdend". Thierse hat laut der Zeitung gesagt, Deutschland sei "sehr besorgt", dass Scharon die Wahl gewinnen könnte und stellte rhetorische die Frage: "Können Sie sich vorstellen, wie Scharon den Friedensprozess fortsetzen würde? Ich habe ihn persönlich getroffen und nichts gehört, was zugunsten eines Friedensprozesses spricht.

Thierse bezog sich laut Jerusalem Post zugleich auf außenpolitische Kreise in der Bundesregierung, die indirekt Israel für die jüngste Gewaltwelle verantwortlich gemacht hätten: "Die entscheidende Frage ist, ob Israel die jüdischen Siedlungen aus palästinensischem Gebiet entfernt und ob Israel zu Kompromissen in der Jerusalem-Frage bereit ist." Weil Israel einen "Mangel an Kompromissabsichten" zeige, seien die Palästinenser radikalisiert worden. Auf die Frage, ob Deutschland einen einseitig ausgerufenen Palästinenserstaat anerkennen würde, sagte Thierse: "Im ersten Moment nicht, aber das hängt auch ganz von Israels Politik ab." Israel könne nicht eine kompromisslose Politik verfolgen und darauf bauen, trotzdem immer das Vertrauen Europas und der USA zu haben.

Die Gespräche der palästinensischen und israelischen Unterhändler in Washington bezeichnete der israelische Außenminister Schlomo Ben-Ami im israelischen Rundfunk als "fruchtbar". Ein Abkommen bis zum Ablauf von US-Präsident Bill Clintons Amtszeit am 20. Januar sei "möglich, aber nicht sicher". Clinton habe den Delegationen Grundzüge eines Friedensabkommens vorgeschlagen, womit Israel "in weiten Teilen leben" könne.