taz 22.12.2000

BARAKS KOMPROMISSANGEBOT HAT KEINE CHANCE

Intifada richtet sich auch gegen Arafat

So deutlich haben es palästinensische Vertreter bisher öffentlich noch nie gesagt, wie die Vertreter von 80 Nichtregierungsorganisationen gestern in Ostjerusalem: Die neue Intifada richtet sich nicht nur gegen die brutale israelische Besatzung, die Menschrechte, Körper und Seelen verletzt. Sie richtet sich auch gegen die eigene Führung, die Herrschaft der "Abus" rund um Palästinenser-Führer Jassir Arafat, die jeden Kontakt mit den Leiden und Forderungen der Bevölkerung verloren haben. Es ist bezeichnend, dass diese Kritik und das Verlangen nach Neuwahlen in Palästina ausgerechnet in Jerusalem ausgesprochen wurde. In Ramallah oder Nablus, Bethlehem oder Hebron wären die Arafat-Kritiker eventuell von der palästinensischen Polizei gleich in Gewahrsam genommen worden. In Jerusalem sagten sie, was die besetzten Palästinenser nur hinter vorgehaltener Hand zu wispern wagen: die Intifada werde immer wieder von Neuem aufflackern, wenn Arafat sich traue, mit einem Abkommen nach Haus zu kommen, das nicht ein totales Ende der Besatzung, des Siedlungswesens, des wirtschaftlichen Würgegriffs durch Israel zum Inhalt habe.

Die Bereitschaft Arafats, während der blutigen Unruhen in Washington erneut mit Israel über ein Endstatus-Abkommen zu verhandeln, wird im israelischen "Friedenslager" indes immer noch als Licht am Ende eines dunklen Tunnels gesehen. Als letzte Hoffnung, doch noch die israelischen Wähler vor dem 6. Februar auf die Seite desjenigen zu ziehen, der den Frieden mit den Palästinensern durch Kompromisse anzustreben gedenkt und den Aufstieg des unberechenbaren Likud-Kandidaten Ariel Scharon blockiert. Die Hoffnungen, die sie züchten, sind egoistisch und unrealistisch, wenn man den Forderungen der palästinensischen Straße Glauben schenkt. Was da von Ehud Barak erdacht war, um seine Neuwahl zu retten, hat keine praktische Chance: Es wäre ein Abkommen, das 80 Prozent der Siedler in einem 12-prozentigen annektierten Streifen östlich der ehemaligen grünen Linie zu konzentrieren verspricht, in fortgesetzter Nachbarschaft dutzender arabischer Dörfer. Es wäre eine Regelung, bei der der größte Teil Ostjerusalems unter israelischer Souveränität bleibt. Es wäre eine Garantie für erneute tägliche Reibereien.

So absurd es ist: Nur ein "Bulldozer" wie Scharon wäre potenziell stark genug, alle Siedler nach Israel zurückzuholen und die Besatzung vollständig zu beenden. Das Problem ist nicht, dass Scharon nicht kann, sondern dass er nicht will: der ehemalige General, der das Massaker von Sabra und Schatila auf dem Gewissen hat, ist bisher durch keinerlei Kompromissfreudigkeit berühmt geworden.

ANNE PONGER