Neue Zürcher Zeitung (CH), 21.12.2000

Blutige Zwischenfälle im Gazastreifen

Kontrast zum Beginn der Verhandlungen in Washington

vk. Gaza, 20. Dezember

Am Mittwoch sind nach palästinensischen Angaben bei zwei separaten Zwischenfällen 3 Palästinenser ums Leben gekommen, rund 40 wurden verletzt. Gleichentags begannen in Washington Beratungen der Palästinenser und der Israeli mit der Administration Clinton über mögliche Massnahmen zur Verständigung. Der PLO-Chef Arafat bezeichnete die Zwischenfälle als Dolchstossgegen diese Verhandlungen. Am Mittwochmorgen kamen nach Darstellung der Gesundheitsbehörden zwei Feuerwehrmänner um, als ihr deutlich markiertes rotes Dienstfahrzeug beim Vorbeifahren an der jüdischen Siedlung Netzarim durch die israelische Wachmannschaft unter Feuer genommen wurde. Ein dritter wurde angeschossen. Die Landstrasse ist links und rechts voneinem fast 100 Meter breiten Todesstreifen flankiert, in dem die Israeli sämtliche Häuser eingeebnet und alle Bäume ausgerissen haben, um allfälligen Angreifern kein Versteck mehr zu lassen. Die Situation war demnach bei der Vorbeifahrt des Feuerwehrwagens vollkommen übersichtlich. Das Fernsehen zeigte später Bilder des Fahrzeugs mit Blutflecken und Einschusslöchern. Ein israelischer Armeesprecher erklärte, eine Überprüfung habe ergeben, dass kein solcher Zwischenfall stattgefunden habe.

Ein 14-jähriger Knabe wurde erschossen und mindestens vierzig Personen verletzt, als die israelische Armee in Rafah in der Nähe des Grenzzauns das Feuer auf Demonstranten eröffnete. Es entspann sich ein heftiger Feuerwechsel mit palästinensischen Bewaffneten. Der Knabe erlitt einen Kopfschuss; unter den Verletzten war auch ein Kleinkind. Die grenznahen Viertel von Rafah sowie die westlichen Teile des benachbarten Flüchtlingslagers, die an den jüdischen Siedlungsblock Gush Katif grenzen, kamen in den vergangenen Nächten sporadisch unter Feuer durch israelische Panzerkanonen. Seit der Eskalation der Aksa-Intifada sind alle palästinensischen Wohn- und Industriebauten, die näher als 100 Meter an der Begrenzung jüdischer Siedlungen liegen, der Gefahr von Beschiessungen ausgesetzt. Die Israeli rechtfertigen sich damit, dass manchmal bewaffnete Palästinenser aus diesen Bauten die Soldaten oder Siedler unter Beschuss nehmen. Die meisten Bewohner verlassen jeweils für die Nacht ihre Häuser.

Bildung einer Uno-Kommission

Genf, 20. Dez. (sda) Die Uno-Menschenrechtskommission hat eine Untersuchungskommission für die Palästinensergebiete gebildet. Die drei Mitglieder des Gremiums sollen Menschenrechtsverletzungen im Westjordanland und im Gazastreifen untersuchen. Dem Untersuchungsausschuss gehören der südafrikanische Jurist undHochschullehrer John Dugard, der an der Universität von Leiden in Holland lehrt, der Ordinarius für internationales Recht an der Universität Princeton Richard Falk und der frühere Aussenminister von Bangladesh Kamal Hussein an. Die drei seien wegen ihrer Unabhängigkeit und ihrer Objektivität gewählt worden, hiess es am Mittwoch in Genf. Die Kommission solle dazu beitragen, einen gerechten und dauerhaften Frieden im Nahen Osten zu sichern, indem sie zur Wahrung der Menschenrechte aufrufe. Im Oktober hatte die Uno-Menschenrechtskommission an einer Sondersitzung in Genf eine Resolution zur Schaffung einer solchen Expertengruppe angenommen.Israel hatte die Resolution als feindlich und einseitig kritisiert und angekündigt, nicht mit der Kommission zusammenarbeiten zu wollen.

Präsident Clinton schaltet sich in neue Nahostgespräche ein

Washington, 20. Dez. (dpa) Der amerikanische Präsident Clinton will sich in die nach einer monatelangenVerhandlungspause wieder aufgenommenen Sondierungsgespräche zwischen Israeli und Palästinensern einschalten. Clinton und seine Aussenministerin Albright wollten entweder noch im Laufe des Mittwochs oder am Donnerstag mit den Delegationen zusammentreffen, erklärte ein Sprecher des Aussenministeriums.

Die Delegationen hatten am Dienstag ihre Gespräche auf dem Luftwaffenstützpunkt Bolling in Washington aufgenommen und am Mittwoch fortgesetzt. Sie waren dabei zu getrennten Gesprächen mit den amerikanischen Vermittlern Ross und Miller zusammengekommen, hatten aber nach Angaben des amerikanischen Aussenministeriums auch direkte Gespräche geführt. Für den Mittwoch war auch ein Dreiertreffen geplant.