Kurier (A), 21.12.2000

Weiter Alarmstufe in türkischen Gefägnissen

Einen Tage nachdem türkische Sicherheitskräfte unter Brachialgewalt zwanzig Gefängnisse gestürmt hatten, um einen zweimonatigen Hungerstreik von Hunderten Insassen zu beenden, wurde die Aktion am Mittwoch in zwei Justizvollzugsanstalten fortgesetzt. Im Istanbuler Canakkale-Komplex rückten Soldaten mit schwerem Gerät an, um sich Zugang zu verbarrikadierten Häftlingen zu verschaffen. Die bisherige offizielle Opferbilanz: Mindestens 16 Gefangene wurden getötet, 57 weitere verletzt. Die Gefangenenhilfsorganisation Ozgur Tayad spricht allerdings von 37 Todesopfern und 78 Verwundeten.

Insgesamt 1139 Häftlinge hatten sich zum Teil seit 61 Tagen in einem Hungerstreik befunden, um gegen die geplante Verlegung in kleinere Zellen zu protestieren. Sie befürchten, dass sie in diesem Fall Übergriffen von Aufsehern ausgeliefert sein könnten. Derzeit sind oft bis zu hundert und mehr Gefangene in riesigen Gemeinschaftsschlafsälen untergebracht.

Nach dem "Todesfasten" - viele nahmen nur Zuckerwasser zu sich - war der Zustand von einigen schon als äußerst kritisch bezeichnet worden. Nach der umstrittenen "Intervention" der Behörden, bei der auch Bulldozer und Tränengas eingesetzt wurden, wurden 821 vom Hungerstreik gezeichnete Personen in Spitäler gebracht.

International hagelte es Kritik an der brutalen Vorgangsweise Ankaras. Die Vorfälle "machten in aller Bitterkeit deutlich, wie schwach das Fundament für Grundrechte in der Türkei" sei, "Menschenrechte gelten auch für Gefangene", betonten etwa die Grünen Deutschlands. Und der Internationale Sekretär der SPÖ, Albrecht Konecny, sagte: "Ein Staat, der sich um die EU-Mitgliedschaft bewirbt, wird zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Sorge um die Achtung der Menschenwürde ein unverzichtbares Element ist."