Süddeutsche Zeitung, 21.12.2000

Türkische Häftlinge leisten weiter Widerstand

Istanbul/Berlin (SZ) - Die türkische Armee hat am Mittwoch ihre gewaltsame Aktion zur Beendigung des Hungerstreiks in türkischen Gefängnissen fortgesetzt, die bereits mindestens 20 Tote gefordert hat. In dem Gefängnis von Canakkale und der Haftanstalt im Istanbuler Vorort Umraniye dauerten die heftigen Auseinandersetzungen am längsten an. Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas, Schusswaffen und schweres Räumgerät ein. Die Tränengasmengen waren dabei so groß, dass auch zahlreiche Angehörige der Sonderpolizei medizinisch behandelt werden mussten. Nach wie vor durften Journalisten nicht in die Nähe der Haftanstalten. Menschenrechtsorganisationen bezweifelten die offiziellen Opferzahlen und die Darstellung der Regierung in Ankara, wonach sich die meisten getöteten Gefangenen selbst verbrannt hätten. Bei zahlreichen Protesten gegen die Erstürmung der Gefängnisse im ganzen Land wurden Hunderte Menschen festgenommen.

In Berlin appellierte die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Claudia Roth (Grüne), an die türkische Regierung, den Dialog mit den protestierenden Gefangenen wieder aufzunehmen. Roth zeigte sich "bestürzt über die zahlreichen Opfer der brutalen Niederschlagung" des Protests. Ein Sprecher der EU-Kommission in Brüssel kritisierte die Polizeiaktion ebenfalls. Die Kommission sei über die Vorfälle besorgt, sagte er. Er rief alle Seiten dazu auf, nach friedlichen Lösungen zu suchen und die Gewalt einzustellen. Der griechische Ministerpräsident Kostas Simitis nannte die Aktion einen "brutalen Akt gegen wehrlose Menschen". Die Häftlinge hatten gegen die Verlegung in Hochsicherheitsgefängnisse protestiert und die Abschaffung des seit 1991 geltenden Antiterrorgesetzes verlangt. Auch in Deutschland gab es Proteste. Die Besetzung einer türkischen Bank in Köln wurde nach einer Stunde von der Polizei beendet. Die PDS forderte eine Amnestie für die politischen Häftlinge.