taz 20.12.2000

Keine neue Chance für Netanjahu

Das israelische Parlament lehnt eine Selbstauflösung ab. Neuwahlen zur Knesset waren jedoch die Bedingung des ehemaligen Regierungschefs, noch einmal zu kandidieren. Jetzt tritt Likud-Chef Scharon gegen Amtsinhaber Barak an. Peres überlegt noch

aus Jerusalem ANNE PONGER

Der ehemalige israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu hat seine erneute Kandidatur für den Posten des Ministerpräsidenten und für den Likud-Vorsitz Dienstag früh aufgegeben. Zuvor hatte die Knesset Gesetzentwürfe zur Parlamentsauflösung in der Nacht mit 69 gegen 49 Stimmen zurückgewiesen. Netanjahu hatte Neuwahlen zur Knesset zur Bedingung für seine Kandidatur gemacht.

Zuvor war das "Netanjahu-Gesetz", das Nicht-Parlamentariern die Kandidatur für das Amt des Regierungschefs gestattet und ihm auf den Leib geschneidert war, mit 65 gegen 45 Stimmen bei 4 Enthaltungen angenommen worden. Da es im Likud keinen weiteren Kandidaten für den Parteivorsitz gab, wurden die für gestern geplanten Likud-Vorwahlen abgesagt. Der bisherige Likud-Parteichef Ariel Scharon wird sich am 6. Februar als einziger konservativer Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten zur Wahl stellen.

Als möglicher dritter Anwärter auf das Amt des Regierungschefs hielt Arbeitspartei-Minister Schimon Peres gestern Konsultationen mit Meretz-Führer Jossi Sarid und den Arbeitspartei-Abgeordneten Uzi Baram, Avram Burg und Haim Ramon, die zuletzt scharfe Kritik am Regierungsstil von Ministerpräsident Ehud Barak geäußert hatten. Der 77-jährige Peres neigt dazu, seine Kandidatur anzumelden. Er erwägt seine Chancen zwischen der Gefahr, das Friedenslager zu spalten, und Meinungsumfragen, die ihm letztes Wochenende größeren Erfolg als Barak im Rennen gegen Scharon prophezeiten. Peres erhielt 1995 den Friedensnobelpreis gemeinsam mit Palästinenserpräsident Jassir Arafat und dem damaligen Regierungschef Jitzhak Rabin für das erste israelisch-palästinensische Abkommen. Die Aussichten von Peres könnten allerdings durch die Wiederbelebung der Friedensgespräche durch Barak vermindert werden. Die Kandidatenliste wird am Donnerstag um Mitternacht geschlossen.

Wieder hat die sephardisch-orthodoxe Schas sich als Zünglein an der Waage erwiesen, als sie Neuwahlen für die Knesset verhinderte und Netanjahus politisches Comeback blockierte. Netanjahu hatte noch am Montag versucht, die Entscheidung des rabbinischen "Rates der Thora-Weisen" gegen Knesset-Wahlen durch verlockende Angebote an die Schas zu beeinflussen, die 17 der 120 Parlamentarier stellt.

Für den Fall seiner Wahl und eines Mandatsverlusts der Schas zugunsten des Likud hatte er ihnen einen Ausgleich durch politischen Einfluss in seinem Kabinett versprochen. Das hätte die durch solch windigeVersprechen unbeeinflussbaren Thora-Weisen vor den Kopf gestoßen, erklärte der Schas-Vorsitzende Eli Jischai. Schas sei eine unabhängige Partei und nicht ein Zweig des Likud. Netanjahu hätte durchaus mit der derzeitigen Knesset regieren können, indem er eine Einheitsregierung oder eine Rechts-Koalition mit 63 Abgeordneten gebildet hätte. Nun will die Schas ihren Wählern empfehlen, für Ariel Scharon zu stimmen.

Unterdessen hat der Lateinische Patriarch im Heiligen Land, der Palästinenser Michel Sabbah, in seiner Weihnachtsbotschaft eine Beteiligung der christlichen Führung an Entscheidungen über den religiösen Status von Jerusalems gefordert, nachdem eine politische Lösung für die Stadt gefunden ist. Auf politischer Ebene müssten die Palästinenser zurückbekommen, was ihnen gehört, während die Juden ihren Anteil behalten sollten. Sabbah verurteilte auf einer Pressekonferenz in Jerusalem die palästinensischen Schüsse aus dem christlichen Dorf Beit Jalla auf den Jerusalemer Vorort Gilo, bezeichnete die israelische Antwort wie beispielsweise Raketenangriffe hingegen als maßlos. Er rief die Bewaffneten auf beiden Seiten auf, Menschenrechte höher zu stellen als Befehle von Politikern. Im belagerten Bethlehem würden die traditionellen Weihnachtszeremonien zwar stattfinden, es sei jedoch keine Freude in den Herzen der hungernden Bevölkerung.