Hamburger Abendblatt 18.12.2000

MEK-Alarm: Revolte in Glasmoor

Kurdische Abschiebe-Häftlinge verbarrikadierten sich in der Zelle und drohten mit Selbstmord

In der Hamburger Justizvollzugsanstalt Glasmoor haben gestern zehn kurdische Häftlinge revoltiert. Das MEK stürmte nach einem vierstündigen Nervenkrieg die Groß-Zelle, nahm die Abschiebehäftlinge fest. Ein Gefangener, der am heutigen Montag abgeschoben werden sollte, soll der Rädelsführer sein.

Um 15 Uhr demonstriert der Hamburger Flüchtlingsrat, wie jeden dritten Sonntag im Monat, mit Plakaten und Parolen. "Abschiebehaft ist Folter, Abschiebehaft ist Mord", skandieren sie immer wieder. Doch diesmal geht die Demonstration nicht friedlich zu Ende. Die Stimmung überträgt sich auf die Insassen, brennende Lappen fliegen durch den Raum, ein Fernseher knallt gegen die Wand. Die Häftlinge verwüsten die Zelle, mit den Scherben drohen sie, sich umzubringen. "Wir schneiden uns die Pulsadern auf", brüllen sie. Der Polizeisprecher beschreibt die Stimmung als "total aufgeheizt".

Justizvollzugsbeamten gelingt es, zwei Häftlinge festzunehmen. Die Gefängnisleitung versucht, mit den acht anderen zu verhandeln. "Aber die Häftlinge haben keine konkreten Forderungen gestellt", sagt Simone Käfer, Sprecherin der Justizbehörde, Stunden später. 200 Polizisten riegeln das Gelände rund um die Anstalt ab, darunter das MEK Hamburg und das SEK Eutin. Um 20 Uhr stürmen MEK und SEK den Saal. Innerhalb von Sekunden sind die Männer überwältigt. Noch in der Nacht werden die acht Kurden ins Untersuchungsgefängnis am Holsten-glacis gebracht.

Erst im Juni waren bei einer Massenflucht elf Häftlinge aus Glasmoor entkommen. In der Folge hatte der Anstaltsleiter darum gebeten, von seinem Job entbunden zu werden. Die meisten der Flüchtlinge stammten aus Osteuropa. Die Ausbrecher wurden wieder gefasst. In den vergangenen zehn Jahren hatte es immer wieder Meutereien in Hamburger Haftanstalten gegeben. So besetzten Meuterer im Dezember 1990 in "Santa Fu" das Dach. Im November 1994 revoltierten schon einmal Häftlinge in Glasmoor - sie gaben auf. Und erst in der vergangenen Woche hatten türkische Linksex-tremisten die Justizbehörde besetzt.

Musterbau ohne Mauern und Stacheldraht

Die Justizvollzugsanstalt Glasmoor wurde 1928 als eine Art Mustergefängnis ohne Mauern und Stacheldraht errichtet. Die Gefangenen sollen in der Gemeinschaft und mit verschiedenen Arbeiten wieder in ein normales Leben zurückfinden. Der unter Denkmalschutz stehende zentrale Komplex zeichnet sich durch einen 22 Meter hohen Turm aus und wurde mehrmals erweitert. 1994 wurden in Containerbauten bis zu 84 Plätze für Abschiebehäftlinge eingerichtet. Die Häftlinge sind hier auf zwei Stationen in Gemeinschaftsräumen untergebracht. Den Abschiebehäftlingen werden verschiedene Freizeit- und Betreuungsangebote gemacht. Im Übrigen arbeiten die Häftlinge in Glasmoor, dort ist Platz für etwa 245 Gefangene, als Maurer, Maler, Tischler oder Schlosser überwiegend für den Bedarf des Gefängnisses. (bw/ger/reba/svb)