junge Welt, 18.12.2000

Interview

Sehen Sie Fortschritte bei Menschenrechten in der Türkei?

jW sprach mit Saben Dayanan, stellvertretender Vorsitzender des Internationalen Menschenrechtsvereins (IHD) in der Türkei

F: Im Rahmen der EU-Erweiterung hat die türkische Regierung wiederholt erklärt, sich den EU-Normen anpassen zu wollen. In diesem Kontext wird auch die Abschaffung der Todesstrafe diskutiert. Gibt es aus der Sicht des IHD Fortschritte bei den Menschenrechten?

Von einer positiven Entwicklung bei uns kann nach wie vor keine Rede sein. Folter und unmenschliche Behandlung von Gefangenen steht in unserem Land weiter auf der Tagesordnung. Die kurdische Sprache ist allen Diskussionen zum Trotz weiterhin verboten. Der Ausnahmezustand in den fünf kurdischen Provinzen wurde erst kürzlich für vier Monate verlängert. Wir sehen jeden Tag im Fernsehen, wie Demonstrationen und Kundgebungen mit Polizeigewalt unterbunden werden. Selbst kritische Journalisten großer Zeitungen werden vor Gericht gezerrt, wenn sie Artikel schreiben, die dem Militär nicht passen. Streiks werden immer wieder von staatlicher Seite verhindert. Nichts zeigt den Zustand der Menschenrechte besser als die Anfang November erfolgte Ersetzung der liberalen Menschenrechtsbeauftragten des türkischen Parlaments durch ein Parteimitglied der mitregierenden rechtsradikalen MHP. Mit unangemeldeten Besuchen in Polizeiwachen müssen die Folterer jetzt nicht mehr rechnen. Damit hat sich seine Vorgängerin viele Feinde bei Polizei und Militär gemacht. Der neue Mann hat schon deutlich gemacht, worin er seine Aufgabe sieht: im Schutz der Menschenrechte der Türken im Ausland.

F: Hat der Waffenstillstand der PKK im letzten Jahr Auswirkungen auf die Situation der Menschenrechte gehabt?

Es gab einen einseitigen Waffenstillstand der PKK. Doch Ankara ist darauf nie eingegangen und hat seinen Krieg fortgesetzt. Erst kürzlich wurden in einer kurdischen Provinz drei Dorfbewohner getötet. Das Militär machte zunächst die PKK dafür verantwortlich. Durch die Recherche unseres Vereins konnten wir nachweisen, daß die Männer von staatlichen Stellen getötet wurden. Auch die Inhaftierung gewählter Stadtverordneter der kurdischen Hadep-Partei hat nie aufgehört.

F: Kürzlich wurden zehn Polizisten wegen der Folter mehrerer festgenommener Jugendlicher zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Sind das Anzeichen einer positiven Entwicklung?

Grundsätzlich werden Straftaten von Staatsorganen in der Türkei nicht verfolgt. Der Staat schöpft zunächst alle juristischen Möglichkeiten aus, um der Folter angeklagte Polizisten zu schützen. Meistens werden die Verfahren dann aus Mangel an Beweisen oder wegen Verjährung eingestellt. Manchmal allerdings sind die Beweise so unwiderlegbar und die in- und noch mehr die ausländische Öffentlichkeit derart sensibilisiert, daß eine Verurteilung unumgänglich ist. Das war schon häufiger der Fall. So zum Beispiel bei dem von Polizisten erschlagenen Journalisten Mete Göktepe. Nach mehreren Prozessen durch alle Instanzen wurden einige Polizisten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Doch mehr als ein Jahr hat keiner von ihnen im Gefängnis gesessen. Auch in den derzeit anhängigen Fällen glaube ich nicht, daß es anders ablaufen wird. Es gibt einige demokratisch gesinnte Richter und Staatsanwälte, die von sich aus gegen Folterer in Uniform ermitteln. Allerdings kommen sie in den staatlichen Strukturen nicht weit. Im Rahmen der momentanen Gesetzgebung und Verfassung ist ein Ende der Menschenrechtsverletzungen in der Türkei nicht möglich.

F: Seit dem 20. Oktober befinden sich in türkischen Gefängnissen Tausende politische Gefangene in einem Hungerstreik gegen die Einführung der Isolationsgefängnisse. Sieht der IHD darin ebenfalls einen Schwerpunkt seiner Arbeit?

Unser Verein wurde 1986 von Angehörigen von politischen Gefangenen gegründet. Daraus ergibt sich schon, daß für uns der Kampf für die Verbesserung der Situation in den Gefängnissen einen hohen Stellenwert besitzt. Seit die Einführung der F-Typ-Zellen genannten Isolationstrakte bei uns im Gespräch ist, haben wir uns dagegen gewehrt und verschiedene Aktivitäten dagegen entfaltet. Es gibt im IHD dazu sogar eine eigene Kommission. Wir haben uns an die Presse und an namhafte Persönlichkeiten gewandt. Zusammen mit verschiedenen Kulturzentren und kleineren sozialistischen Zeitschriften haben wir die Plattform gegen die Isolationszellen gegründet. Seit längerem läuft eine Unterschriftensammlung zu dieser Thematik. Wir waren auch Mitorganisatoren einer landesweiten Demonstration gegen die Isolationsgefängnisse, die am 25. November in Ankara mit rund 6 000 Teilnehmern stattgefunden hat.

F: Ein großes Problem beim Kampf gegen die Isolationshaft scheint die fehlende Einheit der Gegner zu sein. Warum gelingt es Ihnen nicht, Ihre politischen Differenzen zurückzustellen und eine gemeinsame Plattform zu erarbeiten?

Natürlich wünschen wir uns das größtmögliche Bündnis gegen die F-Typ-Zellen. Doch die unterschiedlichen Sichtweisen und Methoden verhindern leider zur Zeit ein gemeinsames Vorgehen. Auch wenn es keine einheitliche Aktion gibt, so ist es doch schon erfreulich, daß die unterschiedlichen Gruppen ihre Veranstaltungen und Aktionen unter der gleichen Parole machen: »F-Typ-Zellen sind Folter und Mord«.

Interview: Peter Nowak