Neue Zürcher Zeitung, 14. Dezember 2000

Einblick in die irakische Verschleierungstaktik

Die Memoiren des ehemaligen Uno-Abrüstungschefs Butler

Der australische Diplomat Richard Butler legt mit seinen Erinnerungen an die Zeit als Chef der ersten Uno-Abrüstungskommission für den Irak (Unscom) ein ehrliches, beunruhigendes, aber auch tröstliches Buch vor. "Blunt Butler", wie er in den Uno-Korridoren genannt wird, nimmt kein Blatt vor den Mund. Er beschreibt mit Klarheit und Überzeugung zunächst das schwierige Erbe, das er am 1. Juli 1997 als politisch erfahrener, langjähriger Abrüstungsspezialist bei seiner Nominierung als Chef der Unscom antrat. In Rechnung zu stellen war auf der einen Seite die Erinnerung an irakische Brutalitäten und Scheusslichkeiten anlässlich der Besetzung Kuwaits zwischen August 1990 und Februar 1991, einhergehend mit der von Saddam Hussein geschickt geschürten Besorgnis über die humanitären Auswirkungen des Uno-Embargos auf die irakische Bevölkerung. Andererseits bestand die ungebrochene Entschlossenheit der irakischen Regierung, die Aufrüstung mit Massenvernichtungswaffen (WMD) - nukleare, chemische und biologische Kampfstoffe sowie die Raketen zu deren Einsatz - ohne Rücksicht auf das eigene Volk und die nach der Niederlage gegen die Golfkriegskoalition eingegangenen Verpflichtungen voranzutreiben.

Ausflüchte und Dolchstösse

Mit Zitaten irakischer Exponenten (" . . . gegen Ungeziefer setzt man Gift ein") wie auch basierend auf Vorfällen aus dem ersten Golfkrieg unddem Giftgaseinsatz gegen die nordirakische Kurdenstadt Halabja zeigt Butler, dass Saddam diese Waffen nicht nur vorbereitete, sondern willens war, sie gegen äussere Feinde und gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen. Vor diesem Hintergrund kämpften Butler und seine Mitarbeiter, unter ihnen auch einige schweizerische Experten des AC-Laboratoriums in Spiez, einen harten Kampf an zwei Fronten, um die von der Unscom unter ihrem hervorragenden ersten Chef Rolf Ekeus bereits weit vorangetriebene Abrüstungsarbeit zum Abschluss zu bringen. Je erfolgreicher, je näher beim harten Kern irakischer WMD, insbesondere der vollends apokalyptischen B-Waffen, die Unscom tätig war, desto mehr versteifte sich der irakische Widerstand gegen die international mandatierten Kontrolleure in Form unzähliger Ausflüchte, bürokratischer Schikanen bis hin zur offenen Verweigerung.

Für Butler entscheidend waren aber nicht seine zu erwartenden Auseinandersetzungen mit den Irakern; sein Gegenpart Tarek Aziz, zunächst Aussenminister, dann als stellvertretender Premierminister, wird verheerend charakterisiert. Der Autor zeigt vielmehr ungeschminkt, wie eine unheilige Allianz aus ständigen Mitgliedern des Uno-Sicherheitsrats - Russland, China und Frankreich - zusammen mit einer auf Verschleierung von Konflikten erpichten Umgebung von Kofi Annan der Unscom in den Rücken fiel. Während Butler in seinem Buch durchaus bereit ist, Wesen und Wert von Massnahmen des s Unmovic, welche ihrerseits auf der Basis der Uno-Sicherheitsrat-Resolution 1284 den Fortgang der irakischen Abrüstung überwachen soll. Resolution und Mandat der Unmovic sind nicht ideal. Sie sind aber wohl auch nicht so schlecht, wie dies Butler in seiner verständlichen Verbitterung über das Abwürgen der Unscom in seinem Werk abschliessend darstellt. Entscheidend ist vielmehr, dass die Resolution tatsächlich zustande kam. Entscheidend ist weiter, dass die Unmovic über ein klares Mandat zur Weiterführung der Abrüstung im Irak verfügt und sich unter Blix kaum zu einer Weisswaschaktion hergeben wird. Entscheidend ist schliesslich, dass die Resolution 1284 die Verantwortung für die Aufhebung der Embargomassnahmen gegen den Irak den einzigen Verantwortlichen der unbefriedigenden Lage zuweist, der kleinen Clique um Saddam Hussein.

Butlers Buch erscheint zu einem Zeitpunkt, wo die internationale strafrechtliche Verantwortung einzelner Exponenten verbrecherischer Regime, ja sogar der direkte Zugriff auf diese Verantwortlichen zum zentralen Thema geworden ist. Es wirft auch jene Frage auf, die mit Blick auf Volksabstimmungen in der Schweiz oft verdrängt wird: Wann und unter welchen Umständen ist ein Vorgehen, als Ultima ratio auch bewaffneter Natur, gegen verbrecherische und menschenverachtende Regime nicht nur Möglichkeit, sondern Pflicht jedes einzelnen demokratischen Rechtsstaates? Wie Butler in seinen allgemeinen Ausführungen zur Abrüstung eindrücklich zeigt, bestehen beim möglichen Einsatz von Massenvernichtungswaffen keine Grenzen.

Daniel Woker

Richard Butler: Saddam Defiant - The threat of weapons of mass destruction, and the crisis of global security. (Titel der amerikanischen Ausgabe: The Greatest Threat.) Weidenfeld & Nicolson, London 2000. 271 S., 20