Stuttgarter Zeitung, 14.12.2000

Syrien lockert die Fesseln

Syrien zieht seine Soldaten aus Beirut ab. Doch den Christen im Libanon geht dieser Schritt nicht weit genug.

Von Astrid Frefel, Kairo

Zum ersten Mal hat die Beiruter Presse ihre Spalten den Eltern von libanesischen Häftlingen in syrischen Gefängnissen geöffnet und damit den Schleier über ein Tabuthema gelüftet. Die Mutter eines im Dezember 1992 verschleppten Unteroffiziers der libanesischen Sicherheit erzählte dieser Tage in der Tageszeitung "L'Orient/Le Jour'' wie ihr Sohn von Mitgliedern des syrischen Geheimdienstes in Beirut gefangen genommen und nach Damaskus gebracht wurde, wie sie ihn ausfindig machen und nun über Jahre dort im Gefängnis besuchen konnte.

Die libanesischen Behörden hatten immer abgestritten, dass sie von libanesischen Gefangenen in syrischen Gefängnissen Kenntnis hätten, aber als Syriens Präsident Baschar al-Assad jüngst eine Amnestie für 600 Häftlinge verkündete, fanden sich auf der Liste auch libanesische Namen. Der Beiruter Parlamentspräsident Nabih Berri hat daraufhin den betroffenen Angehörigen versprochen, dass dieses Kapitel in spätestens 45 Tagen geschlossen werde und bis dahin alle der rund 40 Häftlinge freikämen. In der gleichen Zeitspanne von 45 Tagen soll nach Berris Angaben auch die Verlegung der syrischen Truppen abgeschlossen sein. Die libanesischen Medien berichteten von umfangreichen Truppenbewegungen. Die syrische Armee räumte ihre Stellungen in Ostbeirut und in anderen großen Städten und zog in den Osten des Landes ins Bekaa-Tal. Rund 35000 syrische Soldaten sind seit 1976 im Libanon stationiert.

Seit dem Rückzug der israelischen Besatzungstruppen aus dem Südlibanon im Mai waren in Beirut die Stimmen, die einen syrischen Abzug verlangten, immer lauter geworden. Wortführer ist der maronitische Patriarch Nasrallah Boutros Sfeir. Aber auch Drusenführer Walid Dschumblatt, ein ehemals enger syrischer Alliierter, stimmte in den Chor ein und wurde daraufhin von Damaskus mit einem Einreiseverbot belegt. Mit Dschumblatts Forderung nach einem Ende der syrischen Einmischung in innere libanesische Angelegenheiten waren die Christen nicht mehr alleine, sondern bekamen erstmals auch prominente Unterstützung aus dem sunnitischen Lager.

Die syrische Seite betonte, dass ihre Truppen nicht abgezogen, sondern nur verlegt werden. Ein Abzug käme erst nach einem umfassenden Nahostfrieden in Betracht. Vielen geht dieser Schritt nicht weit genug. Sie verlangen, dass der Zedernstaat frei werde in seinen Entscheidungen und nicht weiter ein syrischer Untertan bleibe.