taz Hamburg 15.12.200

Go-In im Sturm beendet

KurdInnen hielten stundenlang die Justizbehörde besetzt: Ihr Wunsch, die Senatorin zu sprechen, wurde nicht erfüllt

Von Kai von Appen

Blitzaktion gestern in der Justizbehörde gestern um 17.12 Uhr: Mit Nahkampfwaffen ausgerüstete und vermummte BeamtInnen des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) - unterstützt von Feuerwehrleuten - stürmen die Etage der Behörde von SPD-Senatorin Lore-Maria Peschel-Gutzeit im 2. Stock des Klinkerbau an der Drehbahn. Sie stoßen JournalistInnen, BehördenmitarbeiterInnen im Flur beiseite und springen in den Sitzungsaal. Türen und Möbel zerbersten, Menschen schreien, Kampfgeräusche überall. Im letzten Moment gelingt es den MEKlern, einen Mann festzuhalten, der bereits am Fenstersims hängt. Mit auf den Rücken verdrehten Armen werden Männer und Frauen herausgetragen: Das Ende eines an sich friedlichen go-in von vor allem Müttern türkischer Inhaftierter, die für das Leben ihrer Söhne Hamburgs Justizsenatorin um Hilfe bitten wollten.

Die Besetzung beginnt in den späten Mittagsstunden: Etwa 30 TürkInnen, Kurden und Deutsche, dringen in die Räume der Behörde ein, um eine Audienz für ein halbes Dutzend Mütter bei der Senatorin durchzusetzen. Die wollen Peschel-Gutzeit auf das Schicksal ihrer Söhne aufmerksam machen, die vom türk ischen Regime entweder verschleppt oder inhaftiert werden. Die Aktivisten bringen an der Außenfassade Transparente gegen Isolationshaft an und skandieren: "Iso-haft ist Folter, Iso-Haft ist Mord." Über 1300 politische Gefangene befinden sich momentan in türkischen Knästen im Hungerstreik.

"Die Frauen machen seit Wochen Mahnwachen, ohne dass die Presse darüber berichtet, stattdessen wird die Türkei quasi in die EU aufgenommen", begründet ein Sprecher die Aktion. "Die Mütter wollen nur von der Senatorin empfangen werden."

Die Polizei ist schnell zu Stelle, sorgt kurzzeitig für Turbulenzen. Trotz des eigentlichen harmlosen Anliegens - Peschel-Gutzeit beäugt die Lage kurz auf dem Flur - beginnt das obligatorische Prinzipienspiel. Amtsleiter Johannes Düwel besteht auf den Abzug der BesetzerInnen. "Vorher wird die Senatorin nicht kommen und kann sie auch nicht kommen." "Mein Sohn ist von der türkischen Polizei verschleppt worden, sie werden ihn umbringen", wimmert eine der Mütter im Flur. Wenn die Senatorin sie nicht empfangen würden, droht sie mit Selbstverbrennung.

Justiz-Staatsrat Hans-Peter Strenge beruhigt die Gemüter. In Begleitung der inzwischen eingetroffenen Vermittler, Pastor Christian Arndt und dem Ex-Grünen Bundestagsabgeordneten Thomas Ebermann, wird eine Delegation in den Nebentrakt begleitet. Gleichzeitig versucht Strenge - weil auch auf dort ein Mann aus dem Fenster zu springen droht - die Polizei zum Abzug zu bewegen. Doch Strenge ist nicht mehr Herr der Lage. Die Polizei besteht auf der Personalienfeststellung, die Feuerwehr baut vor dem Fenster ein Sprungkissen auf. Noch bevor die Gespräche über das Prozedere beenedet sind, haben die Polizisten das Zepter in die Hand genommen und die Aktion gewaltsam beendet. Ebermann steht der Schock danach ins Gesicht geschrieben. "Ich bin vieles gewohnt. Aber mich erschüttert die Kaltschnäuzigkeit der Polizeiführer noch immer."